23 Dezember 2013

18 Dezember 2013

Zur Aktualität von Lukas 18, 9-14

Gerade las ich im Leserforum der FAZ folgendes Statement eines traditionalistischen Katoliken zu den drohenden Veränderungen seiner Kirche: "Wer eine 'Kirche' will, in der Schwule vor den Traualtar treten, in denen Ehebrecher das Allerheiligste empfangen dürfen und in dem die Schafe bestimmen, in welche Auen sie vom Hirten (Pastor) geführt werden wollen, soll sich eine andere 'Kirche' suchen. Ich lasse mir jedenfalls nicht von irgendwelchen Dahergelaufenen meine Kirche weg nehmen! Weder von Schwulen, noch von Ehebrechern und auch nicht von Leuten, die abtreiben lassen oder künstliche Verhütungsmittel nehmen."

Das könnte einen glatt zu einer Neuformulierung Lukas 18, 9-14 führen:
"Er sagte aber zu etlichen, die sich selbst vermaßen, dass sie fromm wären, und verachteten die andern, ein solch Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in die Kirche, zu beten, einer ein Traditionalist, der andere ein Sünder. Der Traditionalist stand und betete bei sich selbst also: Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Sünder. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich habe. Und der Sünder stand von ferne, wollte auch seine Augen nicht aufheben gen Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging hinab gerechtfertigt in sein Haus vor jenem. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden."

01 Dezember 2013

Heft 86 von tà katoptrizómena ist erschienen!

Wozu geht der Theologe ins Kino?


EDITORIAL

VIEW

Animal Symbolicum, Religion, Kultur, Sinnmaschine
Vorläufige Thesen zum Erkenntniswert theologischer Kulturhermeneutik
Jörg Herrmann

Stop making sense!
Zur theologischen Interpretation des Kinos als Imaginationsraum und Affektmaschine (Thesen in polemischer Absicht)
Werner Schneider-Quindeau

Film ab - Predigt läuft
Ungeordnete Betrachtungen eines Kinogängers, der gelegentlich auf der Kanzel steht
Wolfgang Vögele

Warum gehe ich als Theologe ins Kino?
Eine Selbstanzeige
Harald Schroeter-Wittke

Der alte Theologe geht immer noch ins Kino
Zum theologischen Mehrwert der Kunst. In der Art eines Tagebuchs
Hans-Jürgen Benedict

Why do theologians go to the movies?
Andreas Kubik

Über den theologischen Erkenntniswert der Kultur
Stefan Schütze

Ästhetik und das Wesen des Christentums
Horst Schwebel

Wenn das Kino in die Kirche und die Religion ins Museum kommt
Beobachtungen
Andreas Mertin

RE-VIEW

'Wär ich allmächtig, sehen Sie, ich würde retten, retten.'
Georg Büchners Auseinandersetzung mit den biblischen Hoffnungen und der Gottesfrage
Hans-Jürgen Benedict

Religion der Immanenz
Eine Rezension
Stefan Schütze

POST

Let me entertain you
Show- und Pop-Geschichte(n)
Andreas Mertin

Hochkultur und Schlager
Reflexionen zwischen zwei Zitaten Bertolt Brechts
Andreas Mertin

Symbolismus
Vorstellungen ausgewählter Videoclips XL
Andreas Mertin

Notizen III
Ein Blogsurrogat
Andreas Mertin

19 Oktober 2013

Notiz zum Limburger Bischof

Aus der Legenda Aurea" über den Apostel Thomas:

Thomas der Apostel war zu Caesarea in der Stadt, da erschien ihm unser Herr und sprach: "Gundoforus der König von Indien hat seinen Schaffner Abbanes ausgesendet, daß er ihm suche den besten Baumeister. Darum steh auf, ich will dich zu ihm senden". Sprach Sanct Thomas "Herr, sende mich wohin du willst, allein nach Indien sende mich nicht". Da antwortete unser Herr und sprach "Thoma, geh und fürchte dich nicht, ich will dein Hüter sein; und wenn du die von Indien bekehrt hast, so sollst du zu mir kommen mit der Märtyrer Palme". Sprach Sanct Thomas "Du bist mein Herr, ich bin dein Knecht, dein Wille geschehe". Da nun der Schaffner des Königs auf dem Markte ging, sprach zu ihm unser Herr "Jüngling, was suchest du?" Er antwortete "Mein Herr hat mich gesandt, daß ich ihm suche die besten Meister der Baukunst, daß sie ihm einen Palast machen nach der Römer Weise". Da gab ihm unser Herr Sanct Thomam als einen großen Meister in der Kunst. Also stiegen sie miteinander zu Schiff und fuhren über Meer. ...

Hiernach kamen Abbanes und Sanct Thomas zu dem König von Indien; und Sanct Thomas zeichnete ihm einen herrlichen Palast, den er ihm bauen wollte; dazu gab ihm der König einen großen Schatz Goldes und fuhr in ein ander Land. In der Zeit teilte Sanct Thomas den Schatz unter die Armen, und zwei ganze Jahre, dieweil der König aus war, predigte er dem Volk und bekehrte unzählig viel Volks zum Christenglauben. Als der König wieder kam und vernahm, wie Thomas gelebt hatte mit seinem Gut, da warf er ihn samt Abbanes in den tiefsten Kerker und gedachte, wie er sich an ihnen räche, und wollte sie beide lebendig schinden und darnach mit Feuer verbrennen. Zu der Zeit starb Gad, des Königs Bruder; dem ward ein Grab mit großer Pracht bereitet. Aber am vierten Tage erstand der Tote; da erschraken und flohen alle, die gegenwärtig waren. Der tote Gad aber sprach zu seinem Bruder "Wisse, daß der Mensch, den du Willen hattest zu schinden und zu brennen, ist ein Freund Gottes, und dienen ihm alle Engel: die führten mich auch in das Paradies und zeigten mir einen Palast, der war wunderbarlich gewirkt von Gold und von Silber und von edelem Gestein; und da ich mich der Gezierde verwunderte, sprachen sie zu mir 'Dies ist der Palast, den Thomas deinem Bruder hat gemacht'. Da sprach ich 'Wollte Gott, daß ich Pförtner da möchte sein'. Sie antworteten 'Dein Bruder hat sich unwürdig gemacht dieser Wohnung, darum, begehrst du hierinnen zu wohnen, so wollen wir Gott für dich bitten, daß er dir das Leben wiedergebe, damit du deinem Bruder seinen Palast abkaufest und ihm das Geld wiedergebest, das er wähnet verloren zu haben'." Mit dem so lief Gad in den Kerker und bat Sanct Thomas, daß er seinem Bruder wolle verzeihen, und löste ihm seine Fesseln, und bat ihn, daß er ein köstlich Leid von ihm nähme. Aber Sanct Thomas sprach "Weißt du nicht, daß die nichts leibliches noch weltliches begehren, so Gewalt wollen haben in dem Himmel?" Als Sanct Thomas aus dem Kerker ging, lief ihm der König entgegen, warf sich ihm zu Füßen und bat um Gnade. Da sprach der Apostel "Gott hat euch sonderliche Gnade getan, daß er euch seine Heimlichkeit hat erzeigt. Darum glaubet an ihn und lasset euch taufen, damit ihr teilhaftig werdet des ewigen Reiches". Sprach zu ihm Gad, des Königs Bruder "Ich sah den Palast, den du meinem Bruder hast gebaut, und hab erworben, daß ich den kaufen dar". Antwortete Sanct Thomas "Das steht in deines Bruders Willen". Da sprach der König "Der Palast ist mein, und soll Sanct Thomas dir einen sonderen bauen, und mag er das nicht tun, so soll dieser Palast uns beiden gemeinsam sein." Der Apostel antwortete "Es sind unzählige Paläste in dem Himmel von Anbeginn der Welt bereit, die man kaufet mit dem Glauben und mit Almosen. Also mögen euch eure Schätze nütze sein, so sie vor euch her gehen zu den himmlischen Wohnungen; denn nachfolgen mögen sie euch nimmermehr".

01 Oktober 2013

Heft 85 von tà katoptrizómena ist erschienen!

VIEW

und versammelt folgende Texte:

EDITORIAL

Gegen fromm polierte Schnulzen
Ein Aufruf
Andreas Mertin


VIEW

Sättigung für Augenblicke
Filmische Bildinszenierungen und der Zusammenhang von Film, Zeit und Religion
Jörg Herrmann


Erlösung und Gerechtigkeit – allein in mir, allein im Hier
Religionskritisches und Medienreligiöses in den Filmen Clint Eastwoods
Harald Weiß


Die Aktualität von Dostojewskijs Großinquisitor
Hans-Jürgen Benedict


"Es lächelt der See, er ladet zum Bade"
Tagebuch einer Luzern-Reise
Hans Jürgen Benedict

RE-VIEW

Beuys – Eine Biographie
Eine kritische Auseinandersetzung
Marco A. Sorace


rähtselaft
Ein Projekt
Andreas Mertin


Hominum confusione et Dei providentia ...
Über den neuen Roman von Daniel Kehlmann
Wolfgang Vögele


„Die Kindheit Jesu“
Eine Literaturlesung von J.M. Coetzee
Hans-Jürgen Benedict


Fragen zur Bibel
Eine Rezension
Andreas Mertin


Lektüren
Auf dem Tisch der Redaktion
Andreas Mertin


Unter Beteiligung IV
Kurzvorstellungen
Andreas Mertin


POST

Kirchliche Kunstpreise
Ein Einwurf
Andreas Mertin


Ein Vierteljahrhundert
Vorstellungen ausgewählter Videoclips XXXIX
Andreas Mertin

20 September 2013

Relativer Lebensschutz

Ein so genannter katholischer Lebensschützer über die jüngsten Äußerungen des Papstes:

„Ich bete seit Jahren für den Papst. Jeden Tag. Ich habe für Johannes Paul II. gebetet. Ich habe für Benedikt XVI. gebetet. Und ich bete für Papst Franziskus und werde das auch weiterhin für ihn tun. Und ich werde ihn verteidigen, in allem was er wirklich Katholisches tut. Aber ich werde in Zukunft jeden Tag auch dafür beten, daß uns der allmächtige und dreieinige Gott bald einen neuen Papst schenken möge.“

Ganz so weit reicht der Lebensschutz dann offenbar doch nicht, um einem Menschen mit anderen Ansichten ein langes und gesundes Leben zu wünschen - nicht mal dem eigenen Papst.

16 September 2013

Propaganda

Man stelle sich das einmal kurz vor: Da versammeln sich Tausende in der Hauptstadt Berlin, um mit einem Marsch ihre Ideologie kundzutun. Und am Ende wollen sie nach ihrer Abschlusskundgebung noch einen Gottesdienst im Berliner Dom abhalten. Da kommen Ihnen Erinnerungen hoch? Ja, mir auch. Und als Berliner Domgemeinde würde ich es mir deshalb verbitten, derartig als Propagandamittel für die Feier irgendwelcher "Märsche" zu ideologischen Zwecken missbraucht zu werden.

Gott sei Dank hat die Berliner Domgemeinde auch so entschieden. Das hindert die abgewiesenen so genannten 'Lebensschützer' mit ihrem Marsch fürs Leben (um die handelt es sich im vorliegenden Falle), die schon mal gerne Abtreibung mit dem Holocaust in einen Konnex bringen, nicht daran, sich vehement über diese Absage zu echauffieren. Ausgerechnet auf dem katholischen Portal, das Protestanten auch schon mal als "Protestunten" denunziert, ihnen die Selbstbezeichnung als Kirche verweigert und einen vehementen Kampf gegen nahezu alle protestantischen Kirchenvertreter von Käßmann bis Schneider führt, wird nun geklagt, die Protestanten zeigten zu wenig ökumenischen Geist.

Es vergeht kein Tag, an dem nicht auf kath.net Protestanten geschmäht werden und z.B. in den Kommentaren wie im aktuellen Fall als Werkzeuge des Satans bezeichnet werden. Sicher, so schlimm wie andere katholische Portale, auf denen Martin Luther schon mal gerne als "Schwein in der Hölle" bezeichnet wird, ist es bei kath.net noch nicht. Aber die Sprache der Kommentatoren spricht Bände. Hier wird ständig die Ökumene der Praxis, die sich landauf, landab in den evangelischen und katholischen Kirchengemeinden durchgesetzt hat, mit Füßen getreten.

Die protestierenden Lebensschützer wollen gar keine Ökumene, denn dann müssten sie sich ja fragen, was denn die Theologie der Domgemeinde in dieser Frage ist. Sie wollen einen Agitationsort für ihre religionspolitische Propaganda, die nur Schwarz oder Weiß kennt. Und den sollte man ihnen mit guten Gründen verweigern.

15 September 2013

Dialogbereitschaft und Inquisition

'Dialog' ist kein Selbstzweck, sondern hat nur einen Sinn, wenn er ein klares Ziel hat. Das 'einzige Ziel' eines 'Dialogs' der Katholiken mit Ungläubigen kann nur deren Bekehrung sein. Alles andere führt ins Nichts und ist daher sinnlos.

Aus einem traditionalistischen Blog.

07 August 2013

Der sakrale Schmuck der Kirchen

Zitat des Tages von Kurt Marti: "Der 'sakrale' Schmuck der Kirchen sind deshalb die Menschen, die sich in ihr versammeln. Die Zierde der Kirchen sind - nach dem Maßstab Jesu — vor allem Diskriminierte wie Strafentlassene, Langhaarige, Einsame, Asoziale, Witwen, Arme, Homosexuelle usw. Einer Kirche, der gerade diese Diskriminierten fernbleiben, ist mit aller Kunst nicht zu helfen." (1970)

Marti, Kurt (1976): Plädoyer für die Entsakralisierung der kirchlichen Kunst (1970). In: Kurt Marti (Hg.): Grenzverkehr. Ein Christ im Umgang mit Kultur, Literatur u. Kunst. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag d. Erziehungsvereins, S. 185–189, hier 186.

31 Juli 2013

Heft 84 von tà katoptrizómena ist erschienen!

Paradigmen theologischen Denkens II

und versammelt folgende Texte:
EDITORIAL

VIEW

Paradigmen theologischen Denkens - Auf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben
Teil IV: Weitere Verhältnisbestimmungen und Grenzziehungen
Stefan Schütze
  1. Einleitung: Theologie als stetiges Weiterfragen und Weiterdenken
  2. Komplextheologisches Denken und Dorothee Sölles mystische Schriften
  3. Komplextheologisches Denken und David H. Nikkels Theologie des "radical embodiment"
  4. Komplextheologisches Denken und die "postmodernen" theologischen Phänomenologien des Exzesses
  5. Komplextheologisches Denken und verschiedene "Entwicklungsmodelle" des "Gottesbewusstseins"
  6. Komplextheologisches Denken und Thomas J. J. Altizers Theologie des "Todes Gottes"
  7. Abschluss
  8. Postskript: Zwei Nachträge
  9. Literaturverzeichnis

Bruch-Stücke "trag- und sagfähigen Glaubens"
Oder der Schrei über den "garstig breiten Graben"
Matthias Giesel

RE-VIEW

Netzwerk
Hanna und Paul Gräb und das Verhältnis von Kunst und Kirche
Andreas Mertin

Auschwitz-Oper
Über Mieczyslaw Weinbergs Oper "Die Passagierin“
Wolfgang Vögele

Denken im Taubenschlag
Eine Medienanalyse
Andreas Mertin

"Ich will euch anerkennen bis ins Alter".
100 Alte als Altarbild und die Sakralität der Person im Pro und Contra
Hans-Jürgen Benedict

Das Kreuz mit dem Kreuz
Ein Buch zur visuellen Kommunikation der Kreuzestheologie
Andreas Mertin

Unter Beteiligung III
Kurzhinweise
Andreas Mertin

POST

Notizen II
Ein Blogsurrogat
Andreas Mertin

Spiegelungen
Vorstellungen ausgewählter Videoclips XXXVIII
Andreas Mertin

20 Juli 2013

Kunst und Religion

Zitat des Tages von Bazon Brock: "Nachdem der Kunstmarkt die Kunstkritik endgültig übernommen hat, retten sich marktlose Künstler scharenweise in die Arme von Kultur und Religion. Damit geht die Prognose vom Ende der Kunst in Erfüllung. 600 Jahre Kampf um die Autonomie der Kunst werden unter den Abermilliarden Dollar begraben, mit denen die Herren der Finanzwelt sogar den lieben Gott zu bestechen versuchten. Geld macht Glauben an den Wert der Kunst - Glauben macht Kunst zu Kultur."

15 Juli 2013

Religiöser Katastrophentourismus

Für manche Zeitgenossen findet die theologische Apokalypse beinahe tagtäglich statt. Irgendwo sagt einer was ganz Normales wie „Auch Frauen können ordiniert werden“ (1927 / 1958) oder „Jetzt wählen wir eine Frau zur Bischöfin“ (1992) oder „Jetzt lassen wir die Hochzeit gleichgeschlechtlicher Paare zu“ (2005) und schon geht wieder die Welt unter ... und wieder .... und wieder ... und wieder. Muss irgendwie Spaß machen dieser theologische und innerkirchliche Katastrophentourismus. Seitdem ich mich mit Fragen der Theologie beschäftige, gehört der Tübinger Missionswissenschaftler Peter Beyerhaus zu dieser Gattung der theologischen Apokalypseverkünder. Wann immer jemand etwas sagt, was jenseits des lutherischen Minimalkonsenses liegt und nicht den Geruch des Wertekonservativen hat, kann man sicher sein, dass Beyerhaus mit apokalyptischen Warnungen auftritt. Das muss bei ihm wie ein pawlowscher Reflex sein, darin seinen Gesinnungsgenossen von der evangelikalen Bekenntnisfront nicht unähnlich. Frauenordination? Igittigitt! Wahl einer Bischöfin? Eine "der schwersten geistlichen Katastrophen"! Zulassung gleichgeschlechtlicher Paare zur Hochzeit? „Eine aktuelle sittliche Gefahr“ und ein „moralischer Flurschaden“, der einen sofortigen Rücktritt des Ratsvorsitzenden der EKD nach sich ziehen müsse. Was für ein autoritätsfixierter Müll.

Und die dazu passende apokalyptische Drohung: Sonst werde man katholisch! Na, hoffentlich, denkt man sich da und weiß doch, er und seine Gesinnungsgenossen tun es nicht, sonst entfiele die Grundlage für den heiß geliebten theologischen Katastrophentourismus. Dass die Kirche Paul Tillichs und Richard Niebuhrs, die United Church of Christ, bereits 2005 die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare zugelassen hat, ohne dass bisher erkennbar die Welt im Stil von Sodom und Gomorra untergegangen ist, verwundert angesichts derartiger katastrophischer Rhetorik. Nun kann man durch den Blick auf die scheinbare Katastrophe auch erstarren, so sehr, dass man zur Salzsäule wird. Statt aufzubrechen und die Welt zu gestalten, erfreut man sich an den eigenen Weltuntergangsphantasien. Wieder ... und wieder ... und wieder.

Noch fataler erscheint mir aber die geradezu totalitäre Sprache: „Sind Sie unter dem Eindruck des durch das EKD-Papier und Sie selber entfesselten Sturms bereit, eigene Fehlorientierung einzugestehen und sich angesichts der Heiligkeit Gottes – möglichst gemeinsam mit dem gesamten Rat der EKD – von ihm zu distanzieren?“ So spricht der Großinquisitor im Auftrag des Heiligen Geistes. Ratsvorsitzender Schneider soll eigene Fehlorientierung eingestehen? Diese Tonlage finde ich so unverschämt und beleidigend, dass ich mich frage, ob Beyerhaus noch alle Tassen im Schrank hat. Selbst die katholische Kirche hat die Inquisition längst abgeschafft. Auf die beyerhaussche Wiedervorlage kann ich gut und gerne verzichten.

Hirtenwort

Wie viel Bildung darf man von Bundespolitikern erwarten? Von den so genannten Spitzenkandidaten der Parteien, die von uns als Wählerinnen und Wähler erwarten, dass wir am Wahltag unserer Kreuzchen bei ihrer Partei bzw. ihrer Person machen? Man kann davon ausgehen, dass, wenn man heute ein Interview mit einem derartigen Spitzenpolitiker liest, nichts Unüberlegtes publiziert wird, sondern dass das Interview vor der Veröffentlichung gegengelesen und freigegeben wurde. Am heutigen Montag erscheint nach diversen Vorankündigungen durch Nachrichtenagenturen ein Interview von einem der beiden Spitzenkandidaten der Grünen mit Spiegel online. Jürgen Trittin sucht aus der offenkundigen Schwäche der Bundesregierung in der NSA-Affäre Kapital zu schlagen, um die Wähler für die eigene Partei zu mobilisieren. Und so polemisiert er heftig herum, wirft der Koalition vor, zu „agieren wie die drei Affen - nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.“ Und die Justizministerin, die in dieser Frage eher auf Seiten der Grünen agiert, nennt er einen Papagei, der immer dazwischen plappert. Und was wirft er der Bundesregierung vor? Vor allem Untätigkeit. Und dann kommt folgender Satz: 

„Da erwarte ich von der Bundesregierung ein Engagement. Stattdessen scheint sie auf alttestamentarische Art die andere Wange auch noch hinzuhalten.“

Dieser Satz ist auf so viele Arten verstörend, dass man gar nicht weiß, womit man anfangen soll. Darf ich von einem Spitzenpolitiker Deutschlands erwarten, dass er weiß, wo in der Bibel die Bergpredigt steht? Dass er das Zitat „Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar“ richtig einordnen kann? Selbstverständlich greift Matthäus 5, 38 auch einen Vers aus der hebräischen Bibel auf. In Sprüche 20, 22 heißt es: „Sprich nicht: «Ich will Böses vergelten!» Harre des HERRN, der wird dir helfen.“ Aber die Formulierung mit der Wange ist – das gehörte einmal zum Bildungsbestand – einer der berühmtesten Sätze Jesu. Die antijudaistische Formulierung „alttestamentarische Art“ ist man ja inzwischen von Politikern gewohnt, neu ist, dass Trittin sie um von ihrem ursprünglichen denunziatorischen Kontext (das missverstandene „Auge um Auge, Zahn um Zahn“) löst und sie unter Beibehaltung des pejorativen Akzents mit einer gegenteiligen Aussage verbindet. Nun soll plötzlich die Feindesliebe etwas Schlechtes, eben „nach alttestamentlicher Art“ sein. Interessant ist auch gerade bei dieser Partei, dass Trittin die Gewaltlosigkeit, um die es in diesem Vers geht, nun als Inaktivität auslegt. Als hätten nicht Jahrzehnte des gewaltlosen Widerstands gezeigt, dass diese Art der paradoxen Intervention außerordentlich effektiv ist. Aber sei‘s drum. Ich frage mich seit heute, ob ich ernsthaft eine Partei für die Wahl in Betracht ziehen kann, deren Repräsentant a) von paradoxen Interventionen nichts versteht und deshalb b) den Verzicht auf Rachegedanken als mangelndes Engagement brandmarkt, dazu noch c) antijudaistische Klischees verbreitet, weil er d) nicht einmal weiß, wo die Bergpredigt zu verorten ist. Kultur nenne ich etwas Anderes. Nicht, dass es bei den Politikern anderer Parteien besser aussähe. Aber das hilft mir auch nicht. Ganz im Gegenteil.

[Update 12:00; 15.07.2013] Es hat gerade einmal 3 Stunden gedauert, dann wurde das Interview korrigiert. Nun heißt es an der betreffenden Stelle: "Da erwarte ich von der Bundesregierung ein Engagement. Stattdessen scheint sie die andere Wange auch noch hinzuhalten." Besser wäre es gewesen, Trittin hätte entweder das Missverständliche gar nicht erst gesagt oder es vor Veröffentlichung des Interviews korrigiert. Aber immerhin erweist sich Trittin in einem Punkt als lernfähig. Es scheint aber das "Wange hinhalten" immer noch für einen Fehler zu halten.

11 Juli 2013

Die Feinde der offenen Gesellschaft

Man kann der EKD nur dankbar sein, dass sie ihre Orientierungshilfe so dezidiert formuliert und zur Diskussion gestellt hat. Zumindest eines wurde damit erreicht: die Feinde einer offenen und freien Gesellschaft fühlen sich provoziert.

Ein bestimmter konservativer Teil der katholischen Kirche versteht Katholizismus seit einigen Jahren weniger als Bekenntnis zu Jesus Christus, als vielmehr als ideologische Motivation zur Verfolgung von Homosexuellen. Kreuz.net war da nur die Spitze des Eisberges. Wie verbreitet die Verachtung von Homosexuellen ist, kann man auf kath.net oder katholisches.info nachlesen, wo Evangelische schon gerne mal als ‚Protestunten‘ bezeichnet werden. Nun ist es mir ganz egal, wie die Katholische Kirche und manche ihrer Zirkel ihr Verhältnis zur Homosexualität bestimmen – solange das nur die Katholiken betrifft. Das müssen sie unter sich ausmachen. Wenn es ihnen gefällt, Gott so zu denken, dass dieser die sexuelle Identität mancher Menschen grundsätzlich ablehnt – bitte schön, wer das glauben mag. Mein Gottesbild ist ein anderes.

Was wir als Teil der offenen Gesellschaft aber nicht tolerieren sollten, ist der Versuch einer konservativ-katholischen Domestizierung unserer Lebenswelt. Nur weil manche Katholiken ein Problem mit Homosexualität und eben auch mit Homosexuellen haben, muss der Rest der Gesellschaft nicht darunter leiden. Geht man davon aus, dass selbst in der katholischen Kirche die Homosexuellen-Phobie nur eine minoritäre Position ist, dann erleben wir gerade, wie eine aggressive kleine Minderheit weltweit die Menschenrechte – und hier meine ich das Menschenrecht der Homosexuellen auf Gleichbehandlung – einzuschränken sucht. Ich sehe in diesem Sinne das Forum Deutscher Katholiken als Feind einer offenen und freien Gesellschaft. Dass ausgerechnet ein Vertreter dieses Forums sich gegen die EKD auf die Falsifizierungsthese von Karl Popper beruft ist wirklich eine Beleidigung des kritischen Rationalismus und lässt fragen, ob der Betreffende begriffen hat, was diese These besagt. Karl Popper ist ein dezidierter Vertreter einer offenen Gesellschaft und damit ein Kritiker dessen, was der konservative Katholizismus mit seiner Ausgrenzung der Homosexuellen intendiert. Deshalb war für Popper die strikte religiöse Neutralität der Gesellschaft wichtig.

Dass konservative Vertreter der katholischen Kirche im Konzert mit Vertretern der Evangelikalen nun ernsthaft meinen, der Evangelischen Kirche vorwerfen zu müssen, diese halte sich nicht an Schrift und Bekenntnis, ist lachhaft. Da würde ich doch vorschlagen, lieber gründlich vor der eigenen Tür zu kehren.

Warum aber diese panikartigen Attacken auf ein Papier der EKD? Der konservative Katholizismus erkennt, dass er mit seinen Positionen in unserer freien Gesellschaft keine Rolle mehr spielt. Nicht einmal die Katholiken selbst halten sich an katholische Regeln zur Sexualmoral – weder in Sachen Kondomgebrauch, vorehelicher Geschlechtsverkehr, Scheidung usw. Dieses ganze Gebäude der Identifizierung von Religion mit Moral ist in sich zusammengestürzt. Selbst die CDU hat erkannt, dass dieser Konnex uns nicht weiterbringt. Da aber nicht sein kann, was nicht sein darf, wird nun alles niedergemacht, was andere Positionen vertritt. Und es reicht offenkundig nicht zu sagen, ich denke anders, sondern man muss dem anderen auch noch grundsätzlich seine Position bestreiten. Helfen wird das den konservativen Katholiken aber auch nicht: Tempora mutantur, nos et mutamur in illis.

08 Juli 2013

Welcome


Resonanzen zum Familienpapier

Der Streit um das Familienpapier der EKD ist in vielerlei Hinsicht bizarr. Im Wesentlichen kritisieren Menschen außerhalb der EKD das Papier. Dass Funktionäre einer Splittergruppe, die nicht einmal Abendmahlsgemeinschaft mit der EKD hat, meinen, sich abwertend zu einem Orientierungspapier der EKD äußern zu müssen, ist schon ein starkes Stück. Nichts spricht dagegen, dass die SELK ihre eigene Position zur Ehe darlegt. Das ist ihr Recht. Aber es hat keine Bedeutung für den Bereich der EKD. Die SELK vertritt in ganz Deutschland mit 34.000 Gläubigen weniger Menschen als der Superintendent meiner Heimatstadt (der Kirchenkreis Hagen hat 78.000 evangelische Christen). Aber die SELK meint, sich in die religiösen Belange der EKD einmischen und sie belehren zu können. Das ist schon dreist.

Aber auch das Dialog-Verständnis der katholischen Kirche will mir nicht recht einleuchten. Das EKD-Papier erschwere die Ökumene. Warum? Weil es eine andere theologische Position vertritt? Wenn wir übereinstimmen, brauchen wir keinen Dialog. Dialoge leben davon, dass andere differente Ansichten haben, über die man sich austauscht.

Nun ist es das Bemerkenswerte am EKD-Papier, dass es Positionen artikuliert, die seit Jahren im Protestantismus und unter Theologen selbstverständlich sind, ja die bereits in die Standard-Lexika aufgenommen wurden. Vielleicht ist es aber so, dass diese Positionen zwar im Kopf angekommen sind, aber nicht im Herzen und in der Lebenswirklichkeit? Die EKD sollte also aus der Diskussion um das Familienpapier eine Tugend machen und die Position des Protestantismus noch einmal klar akzentuieren. Dazu würden dann Sätze wie die Folgenden gehören:

„Von der Ehe als ‚göttlicher Schöpfungsordnung‘ zu sprechen, hält der kritischen theologischen Nachfrage nicht stand ... Eine religiöse Verabsolutierung der Ehe findet sich in der Bibel nicht. Die christlich-ethischen Auffassungen zu Bedeutung und Inhalt der Ehe haben sich zudem als besonders zeitbedingt und ideologieanfällig erwiesen ... Es ist deswegen aus der Sicht christlicher Ethik richtig, für die rechtliche Anerkennung nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften einzutreten, um die verbindliche Gemeinschaft auch jenseits traditioneller Lebensformen zu fördern. Der Leitbildcharakter der Ehe muss keineswegs mit der Abwertung nicht-ehelicher Lebensformen  verbunden werden.“ (Heinrich Bedford-Strohm, Artikel Ehe, Taschenlexikon Religion und Theologie, Göttingen 5/2008).

Heinrich Bedford-Strohm (heute Bischof der bayerischen Landeskirche und damit Vertreter von 2,5 Millionen evangelischen Christen) zieht daraus den Schluss, es gehe künftig darum, eine „Kultur der Verbindlichkeit“ zu pflegen. Das Familienpapier der EKD steht, soweit ich es sehe, in dieser Tradition der Kultivierung von Verbindlichkeit.

Und es gibt keinen Grund, hier auch nur einen Schritt zurückzutreten. Ganz im Gegenteil, wir müssen es noch viel lauter sagen:

„Dass den Menschen von Gott quer zu den Geschlechtergrenzen ganz unterschiedliche Begabungen und Talente geschenkt werden (1. Kor 12), hat Folgen für die Gestaltung von Partnerschaft und Familie. Nicht traditionelle biologische oder gesellschaftliche Rollenzuschreibungen können Grundlage der Organisation familiären Zusammenlebens sein, sondern die Form solchen Zusammenlebens muss in wechselseitigem Konsens je nach Präferenz und Begabung partnerschaftlich vereinbart werden.“ (Ebenda)

21 Juni 2013

Zeitgeist II

Nun hat auch der Spiegel, bestens ausgewiesenes Medium zur Verteidigung der Religionskultur, zumindest auf seiner Online-Ausgabe zum Familienpapier der EKD Stellung bezogen. Unter der Überschrift „Scheidung leichtgemacht“ bemüht sich Jan Fleischhauer nach Kräften, sich lächerlich zu machen. Man merkt gleich am Anfang, dass Fleischhauer offenbar seit Jahren nicht mehr auf einer evangelischen Hochzeit war. Um den Satz „Bis dass der Tod euch scheidet“ von der Agenda evangelischer Trauzeremonien zu nehmen, bedurfte es gewiss nicht eines Familienpapiers der EKD. Derartiges wurde schon lange im Traugespräch mit dem Paar abgesprochen.

Aber Fleischhauer nimmt es nicht so genau mit den Fakten. Die EKD hat ganz sicher nicht eine Orientierungshilfe zur Familienfrage für ihre Würdenträger herausgegeben. Zum einen dürfte die EKD als Verwaltungseinheit das gar nicht, das läge in der Hand der einzelnen Landeskirchen. Zum anderen sind die Pfarrerinnen und Pfarrer nach evangelischem Verständnis gar keine Würdenträger. Da muss sich Fleischhauer schon nach Rom wenden. Aber Fleischhauer wiederholt nur die ganz und gar vom Denken befreite Formel „Die Evangelischen sind nicht katholisch“. So ein Schreck aber auch. Ja, der Protestantismus ist die Religion, die das Selbstbestimmungsrecht des Individuums seit 500 Jahren konsequent gefördert hat – aus theologischen Gründen. Die merkwürdige Idee, dass das evangelische Subjekt einer übergeordneten Institution bedürfe, die ihm in religiöser Perspektive sagt, wo es lang geht, ist seit Jahrhunderten Makulatur der Religionsgeschichte. Sapere aude! kann man da nur sagen.

Dass Fleischhauer in seiner ressentimentgeladenen Kolumne auch noch schnell den antijudaistischen Sprachgebrauch „alttestamentarisch“ pflegt (Da wird selbst der sanfte Nikolaus Schneider, der Käßmann im Amt des EKD-Ratsvorsitzenden nachfolgte, ganz alttestamentarisch), verwundert kaum. Ja, die Juden waren immer schon ausfallend und zornig und die Evangelischen machen es ihnen in Fragen der Wirtschaftsethik nach. Die politischen Zuordnungen, die Fleischhauer vornimmt, sind ebenso lächerlich. Da wird sich Günter Beckstein aber wundern, dass er jahrelang Vizepräses der Synode der Kirche der Grünen war. Wie kann man nur auf so wenigen Zeilen so viel Unsinn schreiben?

Mir würde es aber reichen, wenn Fleischhauer nur eine einzige Predigt der letzten 500 Jahre benennt, mit der er – wie er so schön schreibt – „verlässlich“ Auskunft darüber bekommen könnte, was jenseits des Diesseits passiert. Denn er möchte von evangelischen ‚Würdenträgern‘ verlässlich Näheres über Himmel und Hölle erfahren. Da kann er lange warten. Kein Mensch dieser Welt kann ihm da helfen, selbst Visionen und Erscheinungen bieten keine „verlässliche“ Grundlage – da muss er schon selbst glauben. Schickt er deshalb seine Kinder in die Kirche, damit sie statt von der Rechtfertigungslehre und der vorausgehenden Gnade Gottes etwas über die Hölle erfahren? Dann sollte er die Konfession wechseln. Die Katholiken behaupten wenigstens ab und an, sie wüssten über die Hölle Bescheid.

20 Juni 2013

Zeitgeist

Die neue Orientierungshilfe der EKD zur Familie löst unter konservativen Christen der beiden großen Konfessionen Ängste aus. Weil man schon längst Religion in Moral und Werte überführt hat, basht man nun die EKD, weil diese Moral und Werte anders bewertet als man selbst. Dass ein Journalist schreiben kann, die Leitlinien zeichne „eine schockierend unideologische Alltags- und Realitätsnähe aus“ und das kritisch meint, lässt mich daran zweifeln, ob er jemals begriffen hat, was Protestantismus eigentlich ist.

Letztlich wiederholt man nur einen Satz: dass die evangelische Kirche nicht katholisch sei. Gott sei Dank! Dass jemand nach der Aufklärung ernsthaft noch fragt, wer denn die Christen am Ende vertreten würde, ohne auf die Idee zu kommen, dass genau diese Frage vor knapp 500 Jahren die Differenz von evangelisch und katholisch begründet hat, ist schon merkwürdig und zeigt, dass der Protestantismus seine Ideen noch besser kommunizieren muss. Nein, nicht die EKD, nicht die katholische noch eine sonstige Kirche vertritt uns, wir bedürfen keiner Heilsschätze verteilenden Zwischeninstanzen, sondern stehen unmittelbar vor dem Herrn. Der theologische Überbau, den Ulf Poschardt in der WELT einklagt („die Kirche als Schwergewicht des Normativen“), ist gerade jener unerträgliche als Religion verbrämte Moralismus, den der Protestantismus zugunsten der Freiheit des Christenmenschen beiseite geräumt hat.

Heute leidet die Kirche unter einem moralischen Ballast, der aus einer Zeit stammt, als Religionen und Theologien nicht nur für die Gotteslehre, sondern auch für den Fortbestand der Gesellschaft zuständig waren. Sie mussten also Regeln aufstellen, die diesen Fortbestand zu garantieren schienen. Heute, in einer ausdifferenzierten Gesellschaft, sind es die Bürger selbst, die diese Regeln diskutieren und über das Parlament festlegen. Und dabei stellen sie fest, dass der Bann des scheinbar Andersartigen, den frühere Gesellschaften gegenüber Minderheiten und auch anderen sexuellen Orientierungen ausgesprochen hat, sich nicht mehr halten lässt. Tattoos und Piercing sind keine Todsünden, auch wenn es in der Bibel so steht, und auch Homosexualität ist keine Sünde. Diese sich religiös gebende Verurteilung ist überholt.

Ja, die Evangelische Kirche lebt das „Anything goes“. Anders als Poschardt in der WELT es uns aber nahelegen will, heißt „Anything goes“ nach Paul Feyerabend gerade nicht Beliebigkeit, sondern das bewusste Erkunden der Freiheitsräume des Menschen. Schauen wir, was geht. Die Evangelische Kirche ist, das zeichnet sie aus, ein Schwergewicht der Freiheit.

01 Juni 2013

Heft 83 von tà katoptrizómena ist erschienen!

White Cube

und versammelt folgende Texte:
 
Eine Vision: Die Inspiration des Dichters (Elisha in der Kammer an der Wand)EDITORIAL

VIEW

Die Geste des weißen Raumes
White Cube – oder: Die Szenografie reformierten Glaubens
Andreas Mertin

RE-VIEW

Clown in der Dämmerung
Wolfgang Vögele

Was nicht mehr gedeutet werden kann.
Zum Spätwerk des Schweizer Malers Ferdinand Hodler
Wolfgang Vögele

UNTER DEN REIFEN LIEGT DIE STADT
Stichworte / Telegramm zum Thema Stadt
Barbara Wucherer-Staar

Berechtigte Kritik am Despotismus der Freiheit
und zugleich Begründung deutscher Revolutionsangst

Eine Rezension
Hans–Jürgen Benedict

Bilder-Dienst am Wort
Eine rezensierende Auseinandersetzung
Andreas Mertin

Literatur verlegen
Eine Besprechung
Andreas Mertin

Am nächsten Tag die nächste Geschichte
David Bowie „The Next Day“
Andreas Mertin

POST

„Wie unglücklich sind doch die Reichen“
Heines Vorschlag zur Lösung der Kamelfrage, Steuersünder Hoeneß und die Superreichen von heute
Hans–Jürgen Benedict

Die „Fantastic Voyages“ von Gotye
Besprechungen ausgewählter Videoclips XXXVII
Andreas Mertin

Notizen I
Ein Blogsurrogat
Andreas Mertin

31 Mai 2013

Monotheismus-Debatte (Forts.)

Inzwischen gibt es einige weitere Beiträge zur Monotheismus-Debatte:

17 April 2013

Monotheismus-Debatte

Zwei weitere Texte aus der Monotheismus-Debatte des Perlentauchers sind noch nachzutragen. Ich liste gleich einmal alle bisherugen Texte als PDF-Dateien auf:

14 April 2013

Ist das Religion?


LE 12e HOMME

10 April 2013

01 April 2013

Heft 82 von tà katoptrizómena ist erschienen!

Religion und Politik

und versammelt folgende Texte:
EDITORIAL

VIEW

Kirchliche Arbeit im urbanen Gemeinwesen
Jörg Herrmann

Religion in post-säkularer Gesellschaft?
Andreas Mertin
Die Tradition des „Politischen Nachtgebets“ um Dorothee Sölle
Stefan Schütze


„El Greco malt den Großinquisitor“
Eine rekonstruierende Re-Lektüre
Andreas Mertin

RE-VIEW

Kunstpolitik der Kirchen
Eine Rezension
Eckhart Marggraf

Karlsruhe ist nicht Miami
Wolfgang Vögele

Abenteuer Gegenwart
Bernard Schultze - Gegenwelten
Barbara Wucherer-Staar

Objets Corrigés aus der Aluminiumzeit
Hans Salentin
Barbara Wucherer-Staar

Anfangen und Aufhören
Armin Münch

Bescheidenheit mit weitem Horizont
Eine Rezension
Harald Schroeter-Wittke

Ein Hiob auf dem Meer
Ang Lees 3D-Film Schiffbruch mit Tiger
Hans-Jürgen Benedict

Ein schlichtes Herz?
Ironisch-sarkastische Kirchen- und Religionskritik bei Gustave Flaubert
Hans-Jürgen Benedict

Parrot
Zur Ikonographie des Religiösen VIII
Andreas Mertin

Erinnere Dich!
Buchempfehlungen
Andreas Mertin

Unter Beteiligung
Kurzvorstellungen
Andreas Mertin

POST

Drohnen
Besprechungen ausgewählter Videoclips XXXVI
Andreas Mertin

Politik mit Zahlen
Wie idea den Protestantismus mit Hilfe des Kommunismus kleinmacht
Andreas Mertin

Jesus mit Füßen getreten?
Über christliche Empörungsrituale
Andreas Mertin

10 März 2013

Fast schon bei Gott

Auf den konservativen Seiten des Katholizismus wird ein Loblied auf Benedikt XVI. verbreitet, das schon weh tut. Hedwig Courths-Mahler hätte es nicht besser und kaum tränenreicher machen können. Auf kath.net schildert jemand seine Stalkertour auf den letzten Schritten des scheidenden Papstes und landet schließlich bei einem scheinbar mirakulösen Ereignis auf der Sommerresidenz. Der Wind weht! Er ist darob überwältigt und fasst herzensmutig all seine Erkenntnisse zusammen:  

"Ich gebe zu, wir hatten Tränen in den Augen. Noch einmal zeigte sich die Größe in der Demut dieses Mannes, der das höchste Amt auf Erden, das Papstamt, niederlegte, um fortan ein einfacher Pilger, ein Betender zu sein. Einer wie wir alle, nur Gott ein wenig näher."

Da ist sie wieder, die alte katholische Lehre wir seien alle gleich, aber einige seien eben doch dem Himmelreich schon zu Lebzeiten ein wenig näher als die anderen. Nein, Benedikt ist Gott sicher nicht näher als irgend ein anderer Mensch, er unterliegt der Prädestination wie jeder andere auch. Im Mittelalter hat man das gewusst und auf die Höllendarstellungen gerne auch Päpste und Priester eingezeichnet. Diese Gottes Gericht vorwegnehmende Lobhudelei ist schwer erträglich. Ultramontaner Hedwig Courths-Mahler-Kitsch eben.

16 Februar 2013

Kleines Zitat zur liberalen Theologie

"Die gegenwärtig – im Gegensatz zu der reich und konkret ausgebildeten religiösen Vorstellungswelt von früher – vorherrschende Meinung, Leben und Erfahrung der Menschen, die Immanenz, sei eine Art von Glaskasten, durch dessen Wände man auf ewig unveränderliche Seinsbestände einer philosophia oder religio perennis blicken könne, ist selber Abdruck eines Zustands, in dem der Offenbarungsglaube nicht mehr in den Menschen und der Ordnung ihrer Verhältnisse substantiell gegenwärtig ist und nur durch verzweifelte Abstraktion gehalten werden kann."

Theodor W. Adorno: Vernunft und Offenbarung

Müller: Plädoyer für das Sowohl als auch

Der vierte Beitrag in der Debatte zum Thema Monotheismus und Gewalt, diesmal aus der Feder von Klaus Müller:

Es geht Jan Assmann nicht primär um die Gewalthaltigkeit des Monotheismus, sondern um das Projekt der Aufklärung, das "wahr/falsch" der mosaischen Unterscheidung in einem höheren "Sowohl - als auch" aufzuheben. Dies stellt aber keine Gegenposition zur christlichen Theologie dar, sondern bildet einen in ihr seit je präsenten Tiefenstrom.

01 Februar 2013

Heft 81 von tà katoptrizómena ist erschienen!

Am Anfang

und versammelt folgende Texte:

EDITORIAL

VIEW

Am Anfang
Chauvet und die Folgen
Andreas Mertin

Am Anfang war das Wort
Von der Schwierigkeit, nicht nur Am Anfang zu sagen, sondern auch am Anfang zu beginnen
Andreas Mertin

RE-VIEW

Dummer, einfältiger Mond, bitteres Lachen und Atheismus
Eine Anmerkung zu Büchners Satz im Lenzfragment:
„Da griff der Atheismus in ihn“
Hans Jürgen Benedict

Gott 9.0
Eine Rezension
Stefan Schütze

"Will Grohmann war hier“
Im Netzwerk der Moderne. Kirchner, Braque, Kandinsky, Klee ... Richter, Bacon, Altenbourg und ihr Kritiker Will Grohmann
Barbara Wucherer-Staar

Krimi
Ein Bild und ein Buch
Andreas Mertin

Melancholia oder: Die Kirche im Dorf
Dokumentation des Kirchbautages 2011 in Rostock
Andreas Mertin

Man kann ja mal fragen
Zeitgenössische Kunst zur Bibel
Andreas Mertin

Unter Beteiligung
Kurzvorstellungen
Andreas Mertin

POST

Melancholie des Anfangs
Besprechungen ausgewählter Videoclips XXXV
Andreas Mertin

Im Schatten des Kreuzes
Notiz zu einer Auseinandersetzung
Andreas Mertin

"Stultorum plena sunt omnia"
Oder: Argumente im Sinkflug
Andreas Mertin