Der Streit um das Familienpapier der EKD ist in vielerlei Hinsicht bizarr. Im Wesentlichen kritisieren Menschen außerhalb der EKD das Papier. Dass Funktionäre einer Splittergruppe, die nicht einmal Abendmahlsgemeinschaft mit der EKD hat, meinen, sich abwertend zu einem Orientierungspapier der EKD äußern zu müssen, ist schon ein starkes Stück. Nichts spricht dagegen, dass die SELK ihre eigene Position zur Ehe darlegt. Das ist ihr Recht. Aber es hat keine Bedeutung für den Bereich der EKD. Die SELK vertritt in ganz Deutschland mit 34.000 Gläubigen weniger Menschen als der Superintendent meiner Heimatstadt (der Kirchenkreis Hagen hat 78.000 evangelische Christen). Aber die SELK meint, sich in die religiösen Belange der EKD einmischen und sie belehren zu können. Das ist schon dreist.
Aber auch das Dialog-Verständnis der katholischen Kirche will mir nicht recht einleuchten. Das EKD-Papier erschwere die Ökumene. Warum? Weil es eine andere theologische Position vertritt? Wenn wir übereinstimmen, brauchen wir keinen Dialog. Dialoge leben davon, dass andere differente Ansichten haben, über die man sich austauscht.
Nun ist es das Bemerkenswerte am EKD-Papier, dass es Positionen artikuliert, die seit Jahren im Protestantismus und unter Theologen selbstverständlich sind, ja die bereits in die Standard-Lexika aufgenommen wurden. Vielleicht ist es aber so, dass diese Positionen zwar im Kopf angekommen sind, aber nicht im Herzen und in der Lebenswirklichkeit? Die EKD sollte also aus der Diskussion um das Familienpapier eine Tugend machen und die Position des Protestantismus noch einmal klar akzentuieren. Dazu würden dann Sätze wie die Folgenden gehören:
„Von der Ehe als ‚göttlicher Schöpfungsordnung‘ zu sprechen, hält der kritischen theologischen Nachfrage nicht stand ... Eine religiöse Verabsolutierung der Ehe findet sich in der Bibel nicht. Die christlich-ethischen Auffassungen zu Bedeutung und Inhalt der Ehe haben sich zudem als besonders zeitbedingt und ideologieanfällig erwiesen ... Es ist deswegen aus der Sicht christlicher Ethik richtig, für die rechtliche Anerkennung nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften einzutreten, um die verbindliche Gemeinschaft auch jenseits traditioneller Lebensformen zu fördern. Der Leitbildcharakter der Ehe muss keineswegs mit der Abwertung nicht-ehelicher Lebensformen verbunden werden.“ (Heinrich Bedford-Strohm, Artikel Ehe, Taschenlexikon Religion und Theologie, Göttingen 5/2008).
Heinrich Bedford-Strohm (heute Bischof der bayerischen Landeskirche und damit Vertreter von 2,5 Millionen evangelischen Christen) zieht daraus den Schluss, es gehe künftig darum, eine „Kultur der Verbindlichkeit“ zu pflegen. Das Familienpapier der EKD steht, soweit ich es sehe, in dieser Tradition der Kultivierung von Verbindlichkeit.
Und es gibt keinen Grund, hier auch nur einen Schritt zurückzutreten. Ganz im Gegenteil, wir müssen es noch viel lauter sagen:
„Dass den Menschen von Gott quer zu den Geschlechtergrenzen ganz unterschiedliche Begabungen und Talente geschenkt werden (1. Kor 12), hat Folgen für die Gestaltung von Partnerschaft und Familie. Nicht traditionelle biologische oder gesellschaftliche Rollenzuschreibungen können Grundlage der Organisation familiären Zusammenlebens sein, sondern die Form solchen Zusammenlebens muss in wechselseitigem Konsens je nach Präferenz und Begabung partnerschaftlich vereinbart werden.“ (Ebenda)