27 August 2016

Unfassbar

In der FAZ erscheint am 24.8. in der Rubrik "Öffentliche Kunst"(!) ein Beitrag unter der Überschrift "Tyrannei der Beleidigten". Darin geht es darum, wie mit Objekten umgegangen werden soll, die andere Menschen wegen ihres Glaubens in unerträglicher Weise herabsetzen. Im vorliegenden Fall konkret um eine Petition, in der die Entfernung der so genannten "Judensau" von einer Wittenberger Kirche gefordert wird - eine Aktion, die seit langem überfällig ist. Die Verfasser der Petition fordern keinesfalls die Vernichtung der Skulptur, sondern ihre Thematisierung in ihrer Bedeutung und ihren Folgen in einem Museum. Das finde ich nachvollziehbar und unterstütze deshalb auch die Petition.

Der Kritiker an der Petition aus der FAZ wählt nun aber einen Zungenschlag, der unerträglich ist. Er vergleicht die Petition mit Bilderstürmern und auch mit den Aktionen der Taliban. Das ist absurd. Vor allem vergreift er sich im Ton. Man muss ja nur fragen, wer denn durch die 'Judensau' beleidigt wird, um den Sachgehalt der Titelaussage auf den Satz "Tyrannei der Juden" zuspitzen zu können. Da der Verfasser der Petition tatsächlich Jude ist, ist es schlichtweg antijudaistisch. Unfassbar.

24 August 2016

Berliner Luther-Posse



Das Luthertum kann seit seinen Anfängen ohne Luther-Spiegelungen nicht leben. Kaum eine Religion hat einen derartigen personalen Narzissmus entwickelt, wie gerade diese Konfession. Das beginnt schon mit Lukas Cranach und setzt sich über die Jahrhunderte fort. Es muss ein tief sitzendes lutherisches Bedürfnis nach Heldenfiguren geben, so dass von Generation zu Generation fortschreitend neue Luther-Denkmäler entworfen werden. Die neueste Posse ist nun das geplante Luther-Denkmal in Berlin. Man kann sich fragen, warum man 2017 überhaupt ein weiteres Luther-Denkmal braucht und gerät bei der Antwort sofort in eine interessante Gemengelage der Verquickung von Thron und Altar. Die Stadt hat ein Interesse an der Gestaltung der öffentlichen Räume, die Kirche möchte sich angemessen repräsentiert sehen. Dürfte die Kirche allein darüber entscheiden, wäre es wieder einer aus der Liste der ‚Gottbegnadeten‘ geworden. Jedes kirchliche Bauamt verfügt über eine derartige Liste, auf der bewährte Kunstschaffende stehen, die die Landeskirchen landauf-, landab beglücken, sonst aber im Betriebssystem Kunst mit Schweigen bedacht werden. Ausnahmen gibt es allenfalls dort, wo ein Mäzen die Finger mit im Spiel hat. Einen Mäzen gibt es auch im aktuellen Fall, denn das geplante Luther-Denkmal an der Berliner Marienkirche unter dem Funkturm konnte nur mit Unterstützung der Stadt angegangen werden – die zudem den öffentlichen Raum zur Verfügung stellte. Und die natürlich im Gegenzug auf einer mit Fachleuten besetzte Jury bestand. Wer jemals in einer solchen kirchlichen Kunst-Jury gesessen hat, weiß wie das abläuft. Die dort angelegten Kriterien könnten gegensätzlicher nicht sein. Die einen interessieren sich schlichtweg nicht für Kunst, allenfalls haben sie Geschmack (aber eher selten) und achten nur auf die Illustration des von ihnen Intendierten. Die anderen haben wenig Interesse an religiösen oder theologischen Fragestellungen, sondern schwimmen im Kunstsystem und urteilen nach dessen Kriterien. Das ist ein Ergebnis des über Jahrhunderte sich immer breiter auftuenden Grabens von Kunst und Kirche. Und dann kommt es, wie es kommen muss. Man einigt sich auf eine engere Auswahl von sechs, später dann vier Entwürfen. Und schlussendlich setzt sich ein Entwurf als prämierter durch. Das ist so, man kann in diesen Jurysitzungen mal zu den Gewinnern gehören, mal zu den Verlierern. Damit muss man leben. Nicht so im Protestantismus. Denn Luther gehört ja uns Protestanten. Und man hat ja schließlich noch die Liste der der Kirche kommoden Künstlerinnen und Künstler. Könnte man sich nicht an allen vernünftigen Kriterien vorbei mogeln und den Kirchenkünstler doch das Denkmal realisieren lassen? Hier atmet man noch etwas von der Luft des Feudalismus, bei dem Experten auch nur Ratgeber waren und der (Kirchen-)Fürst entschied. Im vorliegenden Fall setzte sich ein Entwurf durch, den man als ästhetisch-kulturell-künstlerisch reflektiert im besten Sinne nennen kann. Er ist nicht nur architektonisch von allen eingereichten Entwürfen der durchdachteste, sondern bringt auch das für Berlin notwendige Maß an künstlerischer Ironie mit. Albert Weis, der Künstler, der von der Jury ausgezeichnet wurde, hat die historische Lutherfigur genommen, sie in Zusammenarbeit mit den Architekten Zeller & Moye moderat, aber wahrnehmbar depotenziert und in einen Kontext mit Reflexion (Spiegel) und Wirkungsgeschichte (D. Bonhoeffer/M.L. King) gestellt. Ich halte diesen Entwurf für rundherum gelungen. Natürlich auch, weil er das historisch ja nun reich belegte Selbstdarstellungsverhalten des Luthertums mit auf den Punkt bringt. Den Kirchenvertretern war dieser Entwurf aber nicht illustrativ genug. Das sei nicht Luther, der würde sich nicht selbst bespiegeln, der würde den um sich kreisenden Menschen als Abgrund ansehen. Der Mensch müsse sich nach Luther an Gott orientieren! Aber warum gibt es dann nur so viele Luther-Statuen? Ein Luther-Biograf wirft Weis vor, ein mit sich selbst disputierender Luther laufe der reformatorischen Befreiungsidee völlig zuwider. Gerade zum Luther-Jubiläum sende solch eine Figur das völlig falsche Signal. Ja, so verstehen manche Menschen die Kunst: als pure Ideologie-Schleuder. Also nicht die Frage: was eröffnet sich mir in dieser Kunst, in dieser Für-wahr-Nehmung Luthers, sondern stattdessen die Kontrolle, ob es sich hier auch um eine Übereinstimmung mit Luthers Lehre handelt. Dann hätte man aber keinen Künstler fragen dürfen. Sagen wir es klar: die kirchlichen Vertreter haben vom Sinn der Kunst nichts verstanden. Glücklicherweise ist im Berliner Fall noch die Stadt beteiligt. Und es steht zu hoffen, dass sie standhaft bleibt, der binnenkirchlichen Wagenburgmentalität nicht nachgibt. Der Entwurf von Albert Weis ist eindeutig der beste Entwurf. Er passt zu Berlin und er passt in eine Gesellschaft, in der der Spiegel ein wichtiges Argument ist. Denn wie heißt es so schön in 2. Korinther 3, 18 nach der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache: Wir alle spiegeln mit unverdecktem Angesicht das Strahlen der Gegenwart des ewigen Gottes wider. Vielleicht sollte man das noch in die Sprüche zu Fuße der beiden Lutherstatuen aufnehmen.

05 August 2016

Islamistische Prophetie?


Kath.net meldet heute Folgendes: Der Islamische Staat (IS) hat in dieser Woche auf die Aussagen von Papst Franziskus zu Islam und Terror reagiert und via der eigenen Zeitung "Dabiq" die Aussagen von Franziskus, dass Muslime den Frieden wollen und die Handlung des IS wirtschaftlich motiviert sei, als naiv kritisiert. Dies berichtet die "Freie Welt" unter Berufung auf das US-Online-Magazin "Breitbart.com". 
     Nun wäre es für ein Nachrichtenportal relativ einfach, statt Aussagen von Dritten zu übernehmen, die sich auf Aussagen von Vierten über Aussagen von Fünften beziehen, selbst mal eben schnell zu recherchieren, ob das so Berichtete auch zutreffend ist. Dabiq, die Zeitschrift des Daesch ist im Internet leicht zugänglich. Und tatsächlich beschäftigt sich die aktuelle Ausgabe 15 vorrangig mit dem Christentum. Das Heft ist Ende Juli erschienen. Schon das macht die Meldung, die Zeitschrift beziehe sich mit ihrer Stellungnahme auf eine Äußerung von Papst Franziskus, die dieser am 1. August getätigt hat, sehr unglaubwürdig. Es sei denn, man unterstellte den Autoren geradezu prophetische Qualitäten. Also ist der Teaser von kath.net und alle der neokonservativen Propagandisten a la Breitband oder Freie Welt schlichtweg falsch. 
     Richtig ist, dass in der aktuellen Ausgabe von Dabiq das Verhalten der verschiedenen Päpste zum Islam untersucht wird und dabei auch die Haltung von Franziskus besprochen wird. Aber die Stellungnahme ist etwas anders als man von den Teasern der Konservativen erwarten würde. Die Zeitschrift verweist zunächst auf die lange Tradition konfrontativer Begegnungen mit dem Islam durch verschiedene Päpste (bis hin zu Papst Benedikt). Das passt natürlich nahtlos in das Weltbild des Daesch. Probleme bekommen sie erst, seitdem mit Papst Franziskus ein Papst aufgetreten ist, der so gar nicht in das konfrontative Schema passt. Seine Freundlichkeit deuten sie nun als besonders subtile Art der konfrontativen Auseinandersetzung: “So while Benedict and many before him emphasized the enmity between the pagan Christians and monotheistic Muslims, Francis’ work is notably more subtle, steering clear of confrontational words that would oend those who falsely claim Islam, those apostates whom the Crusaders found played the perfect role for their infiltration into Muslim lands.” (Dabiq 15, S. 75) Im Gegensatz zu Benedikt “Francis continues to hide behind a deceptive veil of “good will,” covering his actual intentions of pacifying the Muslim nation. This is exemplified in Francis’ statement that “our respect for true followers of Islam should lead us to avoid hateful generalizations, for authentic Islam and the proper reading of the Quran are opposed to every form of violence” (The Joy of the Gospel). (Dabiq 15, S. 76) M.a.W. sie wittern in Papst Franziskus die wahre Gefahr. Das ist nun wirklich interessant. Unter der Hand erweisen sich so die konservativen Evangelikalen und die konservativen Katholiken als Verbündete im Geiste mit den Ideologen des Daesch. Denn alle haben ein erkennbares Interesse an einer Eskalation. 
     Diese Übereinstimmung wird noch an einer anderen Stelle deutlich, dort nämlich, wo sich der Daesch über die liberale Haltung des Papstes zu den Homosexuellen echauffiert. Bis in die Wortwahl stimmen hier Rechtskatholiken und Daesch-Ideologen überein. "Completely disregarding his own Church’s doctrine of judging homosexuals as immoral for engaging in the perverted act of sodomy, Francis has again sidestepped religion for the sake of public opinion." Der Daesch deutet diese liberale Haltung des Papstes als "part of the papal mission to garner any support possible, even from the likes of filthy, effeminate sodomites, in the crusade against the Muslim nation in general and the Islamic State in particular." Das ist natürlich ziemlich über die Bande gedacht, so kann nur denken, wer sich im Zentrum der Welt sieht. Jedenfalls sieht der Daesch den Papst nicht als naiven, nützlichen Idioten. Und deshalb werden auch die Gespräche, die Papst Franziskus mit den großen Vertretern des Islam führt, von den Ideologen des Daesch als reale Bedrohung wahrgenommen. "This is all part of a plan to demilitarize Islam or, to put it more correctly, to remove the clearly Quran- and Sunnah-based duty of waging jihad against pagans until all the world is ruled by the Shari’ah." Vielleicht sollten die Macher von kath.net und idea wirklich mehr in Dabiq lesen, um zu erkennen, dass in Wirklichkeit sie es sind, die als nützliche Idioten des Daesch deren Eskalationsstrategie befeuern.

01 August 2016

Heft 102 von tà katoptrizómena ist erschienen!

Das Heft trägt den Titel

Vita brevis ars longa

und enthält folgende Beiträge
 
Editorial - Vita brevis ars longa

VIEW

Vita brevis ars longa
Zum 75. Geburtstag von Hans-Jürgen Benedict
Christoph Störmer

Der Theologieprofessor
Für Hans-Jürgen Benedict zum 75. Geburtstag
Horst Schwebel

In Geschichten verstrickt ...
Jörg Herrmann und Andreas Mertin

Die sieben Werke der Barmherzigkeit
Ein Beispiel diakonischer Kunst - wiederbetrachtet
Andreas Mertin

Udos Evangelium und das Ende der Ironie
Religionshermeneutische Notizen zu Benjamin von Stuckrad-Barres autobiographischem Buch „Panikherz“
Jörg Herrmann

Predigt des Löwen
Über Péter Esterházys Roman „Die Markus-Version“
Wolfgang Vögele

RE-VIEW

Ars bene moriendi
Assoziationen von Marilyn Monroe beim Gang durch diverse Ausstellungen
Barbara Wucherer-Staar

Ars brevis
Die kleine Ewigkeit der Kunst
Andreas Mertin

Steve Jobs und Apple
Gedanken zu einem – religiösen? – Phänomen unserer Zeit
Thomas O.H. Kaiser

Gelöscht
Ein Kapitel deutscher Ausstellungsgeschichte
Karin Wendt

E.N.D.E.
Zur aktuellen Ikonographie des Religiösen IX
Andreas Mertin

Unter Beteiligung X
Kurzvorstellungen
Andreas Mertin

POST

Stromae - Ein Meister der Ambiguitäten
Vorstellungen ausgewählter Videoclips XLVI
Andreas Mertin

Was ich noch zu sagen hätte
Das Blogsurrogatextrakt XVII
Andreas Mertin