24 August 2016

Berliner Luther-Posse



Das Luthertum kann seit seinen Anfängen ohne Luther-Spiegelungen nicht leben. Kaum eine Religion hat einen derartigen personalen Narzissmus entwickelt, wie gerade diese Konfession. Das beginnt schon mit Lukas Cranach und setzt sich über die Jahrhunderte fort. Es muss ein tief sitzendes lutherisches Bedürfnis nach Heldenfiguren geben, so dass von Generation zu Generation fortschreitend neue Luther-Denkmäler entworfen werden. Die neueste Posse ist nun das geplante Luther-Denkmal in Berlin. Man kann sich fragen, warum man 2017 überhaupt ein weiteres Luther-Denkmal braucht und gerät bei der Antwort sofort in eine interessante Gemengelage der Verquickung von Thron und Altar. Die Stadt hat ein Interesse an der Gestaltung der öffentlichen Räume, die Kirche möchte sich angemessen repräsentiert sehen. Dürfte die Kirche allein darüber entscheiden, wäre es wieder einer aus der Liste der ‚Gottbegnadeten‘ geworden. Jedes kirchliche Bauamt verfügt über eine derartige Liste, auf der bewährte Kunstschaffende stehen, die die Landeskirchen landauf-, landab beglücken, sonst aber im Betriebssystem Kunst mit Schweigen bedacht werden. Ausnahmen gibt es allenfalls dort, wo ein Mäzen die Finger mit im Spiel hat. Einen Mäzen gibt es auch im aktuellen Fall, denn das geplante Luther-Denkmal an der Berliner Marienkirche unter dem Funkturm konnte nur mit Unterstützung der Stadt angegangen werden – die zudem den öffentlichen Raum zur Verfügung stellte. Und die natürlich im Gegenzug auf einer mit Fachleuten besetzte Jury bestand. Wer jemals in einer solchen kirchlichen Kunst-Jury gesessen hat, weiß wie das abläuft. Die dort angelegten Kriterien könnten gegensätzlicher nicht sein. Die einen interessieren sich schlichtweg nicht für Kunst, allenfalls haben sie Geschmack (aber eher selten) und achten nur auf die Illustration des von ihnen Intendierten. Die anderen haben wenig Interesse an religiösen oder theologischen Fragestellungen, sondern schwimmen im Kunstsystem und urteilen nach dessen Kriterien. Das ist ein Ergebnis des über Jahrhunderte sich immer breiter auftuenden Grabens von Kunst und Kirche. Und dann kommt es, wie es kommen muss. Man einigt sich auf eine engere Auswahl von sechs, später dann vier Entwürfen. Und schlussendlich setzt sich ein Entwurf als prämierter durch. Das ist so, man kann in diesen Jurysitzungen mal zu den Gewinnern gehören, mal zu den Verlierern. Damit muss man leben. Nicht so im Protestantismus. Denn Luther gehört ja uns Protestanten. Und man hat ja schließlich noch die Liste der der Kirche kommoden Künstlerinnen und Künstler. Könnte man sich nicht an allen vernünftigen Kriterien vorbei mogeln und den Kirchenkünstler doch das Denkmal realisieren lassen? Hier atmet man noch etwas von der Luft des Feudalismus, bei dem Experten auch nur Ratgeber waren und der (Kirchen-)Fürst entschied. Im vorliegenden Fall setzte sich ein Entwurf durch, den man als ästhetisch-kulturell-künstlerisch reflektiert im besten Sinne nennen kann. Er ist nicht nur architektonisch von allen eingereichten Entwürfen der durchdachteste, sondern bringt auch das für Berlin notwendige Maß an künstlerischer Ironie mit. Albert Weis, der Künstler, der von der Jury ausgezeichnet wurde, hat die historische Lutherfigur genommen, sie in Zusammenarbeit mit den Architekten Zeller & Moye moderat, aber wahrnehmbar depotenziert und in einen Kontext mit Reflexion (Spiegel) und Wirkungsgeschichte (D. Bonhoeffer/M.L. King) gestellt. Ich halte diesen Entwurf für rundherum gelungen. Natürlich auch, weil er das historisch ja nun reich belegte Selbstdarstellungsverhalten des Luthertums mit auf den Punkt bringt. Den Kirchenvertretern war dieser Entwurf aber nicht illustrativ genug. Das sei nicht Luther, der würde sich nicht selbst bespiegeln, der würde den um sich kreisenden Menschen als Abgrund ansehen. Der Mensch müsse sich nach Luther an Gott orientieren! Aber warum gibt es dann nur so viele Luther-Statuen? Ein Luther-Biograf wirft Weis vor, ein mit sich selbst disputierender Luther laufe der reformatorischen Befreiungsidee völlig zuwider. Gerade zum Luther-Jubiläum sende solch eine Figur das völlig falsche Signal. Ja, so verstehen manche Menschen die Kunst: als pure Ideologie-Schleuder. Also nicht die Frage: was eröffnet sich mir in dieser Kunst, in dieser Für-wahr-Nehmung Luthers, sondern stattdessen die Kontrolle, ob es sich hier auch um eine Übereinstimmung mit Luthers Lehre handelt. Dann hätte man aber keinen Künstler fragen dürfen. Sagen wir es klar: die kirchlichen Vertreter haben vom Sinn der Kunst nichts verstanden. Glücklicherweise ist im Berliner Fall noch die Stadt beteiligt. Und es steht zu hoffen, dass sie standhaft bleibt, der binnenkirchlichen Wagenburgmentalität nicht nachgibt. Der Entwurf von Albert Weis ist eindeutig der beste Entwurf. Er passt zu Berlin und er passt in eine Gesellschaft, in der der Spiegel ein wichtiges Argument ist. Denn wie heißt es so schön in 2. Korinther 3, 18 nach der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache: Wir alle spiegeln mit unverdecktem Angesicht das Strahlen der Gegenwart des ewigen Gottes wider. Vielleicht sollte man das noch in die Sprüche zu Fuße der beiden Lutherstatuen aufnehmen.