Das Luthertum kann seit seinen
Anfängen ohne Luther-Spiegelungen nicht leben. Kaum eine Religion hat einen
derartigen personalen Narzissmus entwickelt, wie gerade diese Konfession. Das
beginnt schon mit Lukas Cranach und setzt sich über die Jahrhunderte fort. Es
muss ein tief sitzendes lutherisches Bedürfnis nach Heldenfiguren geben, so
dass von Generation zu Generation fortschreitend neue Luther-Denkmäler
entworfen werden. Die neueste Posse ist nun das geplante Luther-Denkmal in
Berlin. Man kann sich fragen, warum man 2017 überhaupt ein weiteres Luther-Denkmal
braucht und gerät bei der Antwort sofort in eine interessante Gemengelage der Verquickung
von Thron und Altar. Die Stadt hat ein Interesse an der Gestaltung der öffentlichen
Räume, die Kirche möchte sich angemessen repräsentiert sehen. Dürfte die Kirche
allein darüber entscheiden, wäre es wieder einer aus der Liste der ‚Gottbegnadeten‘
geworden. Jedes kirchliche Bauamt verfügt über eine derartige Liste, auf der
bewährte Kunstschaffende stehen, die die Landeskirchen landauf-, landab beglücken,
sonst aber im Betriebssystem Kunst mit Schweigen bedacht werden. Ausnahmen gibt
es allenfalls dort, wo ein Mäzen die Finger mit im Spiel hat. Einen Mäzen gibt
es auch im aktuellen Fall, denn das geplante Luther-Denkmal an der Berliner Marienkirche
unter dem Funkturm konnte nur mit Unterstützung der Stadt angegangen werden –
die zudem den öffentlichen Raum zur Verfügung stellte. Und die natürlich im
Gegenzug auf einer mit Fachleuten besetzte Jury bestand. Wer jemals in einer solchen
kirchlichen Kunst-Jury gesessen hat, weiß wie das abläuft. Die dort angelegten
Kriterien könnten gegensätzlicher nicht sein. Die einen interessieren sich
schlichtweg nicht für Kunst, allenfalls haben sie Geschmack (aber eher selten)
und achten nur auf die Illustration des von ihnen Intendierten. Die anderen haben
wenig Interesse an religiösen oder theologischen Fragestellungen, sondern
schwimmen im Kunstsystem und urteilen nach dessen Kriterien. Das ist ein
Ergebnis des über Jahrhunderte sich immer breiter auftuenden Grabens von Kunst
und Kirche. Und dann kommt es, wie es kommen muss. Man einigt sich auf eine
engere Auswahl von sechs, später dann vier Entwürfen. Und schlussendlich setzt
sich ein Entwurf als prämierter durch. Das ist so, man kann in diesen
Jurysitzungen mal zu den Gewinnern gehören, mal zu den Verlierern. Damit muss
man leben. Nicht so im Protestantismus. Denn Luther gehört ja uns Protestanten.
Und man hat ja schließlich noch die Liste der der Kirche kommoden Künstlerinnen
und Künstler. Könnte man sich nicht an allen vernünftigen Kriterien vorbei mogeln
und den Kirchenkünstler doch das Denkmal realisieren lassen? Hier atmet man
noch etwas von der Luft des Feudalismus, bei dem Experten auch nur Ratgeber waren
und der (Kirchen-)Fürst entschied. Im vorliegenden Fall setzte sich ein Entwurf
durch, den man als ästhetisch-kulturell-künstlerisch reflektiert im besten
Sinne nennen kann. Er ist nicht nur architektonisch von allen eingereichten
Entwürfen der durchdachteste, sondern bringt auch das für Berlin notwendige Maß
an künstlerischer Ironie mit. Albert Weis, der Künstler, der von der Jury ausgezeichnet
wurde, hat die historische Lutherfigur genommen, sie in Zusammenarbeit mit den
Architekten Zeller & Moye moderat, aber wahrnehmbar depotenziert und in
einen Kontext mit Reflexion (Spiegel) und Wirkungsgeschichte (D. Bonhoeffer/M.L.
King) gestellt. Ich halte diesen Entwurf für rundherum gelungen. Natürlich
auch, weil er das historisch ja nun reich belegte Selbstdarstellungsverhalten
des Luthertums mit auf den Punkt bringt. Den Kirchenvertretern war dieser
Entwurf aber nicht illustrativ genug. Das sei nicht Luther, der würde sich
nicht selbst bespiegeln, der würde den um sich kreisenden Menschen als Abgrund
ansehen. Der Mensch müsse sich nach Luther an Gott orientieren! Aber warum gibt
es dann nur so viele Luther-Statuen? Ein Luther-Biograf wirft Weis vor, ein mit
sich selbst disputierender Luther laufe der reformatorischen Befreiungsidee
völlig zuwider. Gerade zum Luther-Jubiläum sende solch eine Figur das völlig
falsche Signal. Ja, so verstehen manche Menschen die Kunst: als pure
Ideologie-Schleuder. Also nicht die Frage: was eröffnet sich mir in dieser
Kunst, in dieser Für-wahr-Nehmung Luthers, sondern stattdessen die Kontrolle,
ob es sich hier auch um eine Übereinstimmung mit Luthers Lehre handelt. Dann
hätte man aber keinen Künstler fragen dürfen. Sagen wir es klar: die
kirchlichen Vertreter haben vom Sinn der Kunst nichts verstanden. Glücklicherweise
ist im Berliner Fall noch die Stadt beteiligt. Und es steht zu hoffen, dass sie
standhaft bleibt, der binnenkirchlichen Wagenburgmentalität nicht nachgibt. Der
Entwurf von Albert Weis ist eindeutig der beste Entwurf. Er passt zu Berlin und
er passt in eine Gesellschaft, in der der Spiegel ein wichtiges Argument ist.
Denn wie heißt es so schön in 2. Korinther 3, 18 nach der Übersetzung der Bibel
in gerechter Sprache: Wir alle spiegeln mit unverdecktem Angesicht das Strahlen
der Gegenwart des ewigen Gottes wider. Vielleicht sollte man das noch in die
Sprüche zu Fuße der beiden Lutherstatuen aufnehmen.