"Sich selbst an die Stelle Jesu zu setzen, auch nur symbolisch, ist eine Selbstüberschätzung ungeheuren Ausmaßes", sagte die Bischöfin Margot Käßmann heute gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Wen sie damit wohl gemeint haben kann: Petrus, den Papst, Franz von Assisi oder vielleicht gleich alle Christen? Ach nein, es war nur Madonna, deren Werk Frau Käßmann nicht kennt. Vermutlich wollte sie auch nur mal wieder in den Medien präsent sein.
Vielleicht aber sollte Frau Käßmann doch noch einmal Matthäus 16,24 nachschlagen, worauf Madonna ja im Kontext ihres Aids-Engagements hier anspielt. Der Befreiungstheologe Mark D. Hulsether erörterte vor einigen Jahren die Frage, inwieweit Madonnas Clips unter befreiungstheologischen Perspektiven gelesen werden können. Ein ideales Lied müsste demnach eine Geschichte erzählen, die auf der Opferseite Partei nimmt und sich distanziert von allen rassistischen Verzerrungen des Christentums. Das Augenmerk müßte auf den Leiden und Ungerechtigkeiten liegen und Wege aufweisen, diese zu verändern. Es sollte Jesu Tod nicht auf die individuelle Beziehung von Christ und Christus reduzieren, sondern seine soziale Komponente und seinen solidarischen Aspekt betonen. Die Kirche müsste darin als Ort des Eintretens für soziale Gerechtigkeit erscheinen. Im Blick auf den Rassismus müsste es die afro-amerikanische Kultur fördern, polizeiliche Übergriffe ächten und verhindern, dass Farbige zu Sündenböcken gemacht werden. Im Blick auf den Feminismus sollte es sexuelle Gewalt kritisieren und die erotische Komponente des Glaubens betonen. Und Hulsether stellt fest: Madonnas 'Like a prayer' beinhaltet jedes Element dieser Wunschliste, gefördert von einem bevorzugten Rollenmodell unserer Jugend. Hulsether hält den Clip für eines der wirkungsmächtigsten Beiträge zur Befreiungstheologie, die er je in den Massenmedien gesehen habe.
Aber Frau Käßmann ist eben auch keine Vertreterin der Befreiungstheologie und schon gar keine feminstische Theologin. Aber vielleicht ist Madonna so nett und lässt Frau Käßmann künftig in Ruhe.
Wie man Madonna anders, aber durchaus auch kritisch wahrnehmen kann, beschreibt Hannelore Schlaffer in der ZEIT: Danach "wird Madonna ans Kreuz geschlagen, an eine mit Quadraten überzogene Konstruktion, die von Donald Judd sein könnte und durch geometrische Sterilität jeglichen blasphemischen Gedanken blockiert. Da hängt sie, klein und mit einem Kranz im Haar – oder ist es doch eine Dornenkrone? –, eher wie eine gerettete Ophelia denn wie eine Parodie auf den Gekreuzigten und singt Live to Tell."