23 Juni 2015

Gefängnis als Motivation

Ja, so haben es die Herrschenden vom Anbeginn der Zeiten sich schon immer gedacht: Man muss den Künstler ab und an ein Gefängnis zeigen, dann fühlen sie sich gleich viel mehr motiviert! Aus dieser bitteren Lehre möchte der Protestantismus 2017 in Wittenberg eine Tugend machen, wie in der Zeitschrift zeitzeichen nachzulesen ist:

> .... Hinter ihm das alte Gefängnis, seit den Siebzigerjahren außer Betrieb und heute leerstehend. Es soll im Reformationssommer 2017 zum Künstlerhaus werden, so Schneiders Vision: "40 Künstler arbeiten über Luther und setzen sich mit Luther auseinander." Dies alles soll in Zusammenarbeit mit der documenta in Kassel geschehen, die 2017 zeitgleich zur Weltausstellung Reformation stattfindet. Etwas zerfallen wirkt es schon, das alte Gefängnis. Egal, so eine Atmosphäre wirkt auf Künstler in der Regel beflügelnd. Das wird toll. <

Unbestritten, man muss sie nur ins Gefängnis stecken, die Künstler. Wirkt echt beflügelnd. Toll.

Im Herbst letzten Jahres schrieb ich in der gleichen Zeitschrift:

> Ein Lackmustest für die Bemühungen der Evangelischen Kirche um Kunst im Gefolge des Themenjahrs „Bibel und Bild“ scheint mir daher zu sein, was sie 2017, in dem Jahr, in dem das Reformationsjubiläum, die documenta in Kassel und die Biennale in Venedig zusammenfallen, der Kunst anzubieten hat. Denn wir feiern 2017 nicht nur 500 Jahre Reformation, sondern, wie Hans Belting in seinem Buch „Bild und Kult“ deutlich gemacht hat, auch 500 Jahre freie Kunst nach dem Ende der Kultbildzeit. Ich bin gespannt auf die kirchlichen Aktivitäten zu dieser Koinzidenz und hoffe, es wird nicht nur der Blick zurück auf den Beitrag Cranachs zur Reformation, sondern auch der Blick zur Seite und nach vorne auf die Gegenwart und Zukunft der Kunst sein. ... Aber bitte: keine Kultbild-Ausstellung „Martin Luther in der zeitgenössischen Kunst“. <

Es hat nicht sollen sein, die Evangelische Kirche hat den Lackmustest kultureller Zeitgenossenschaft nicht bestanden. Mal sehen, was die Künstler im Gefängnis der narzistischen Selbstbespiegelung der Evangelischen Kirche zustande bringen. Vergleichsmaßstab wird dann aber vermutlich nicht die documenta oder die Biennale sein, sondern die Staatskunst der DDR zum Lutherjubiläum 1983.