05 Juni 2012

Zensur als Geschmacksfrage

Zum zweiten Mal lese ich im deutschsprachigen Feuilleton das Argument, dass die Verhinderung einer Ausstellung durch die documenta-Leitung nicht so schlimm sei, wenn es einen Künstler treffe, der einem persönlich nicht gefällt. Sprach zuerst die NZZ vom Gruselkünstler Schneider, so nun die FAZ vom Essentialkitsch des Künstlers - und beides mit der Implikation, dass das Rechtfertigung genug sei, die Ausstellung abzusagen. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen - oder wie soll man das verstehen? Wird Zensur jetzt zur Geschmacksfrage? Und hängt die Freiheit der Kunst davon ab, ob mir die ausgestellten Werke gefallen?

Nun bestreitet Niklas Maakk in der FAZ, dass überhaupt Zensur stattgefunden habe. Und er beruft sich auf die Pressesprecherin der documenta. Das ist nun deshalb merkwürdig, weil der Geschäftsführer der documenta zuvor auf der ersten Pressekonferenz zur Balkenhol-Ausstellung vor laufenden Kameras und Mikrofonen gesagt hatte, dass - anders als die katholische Kirche - die evangelische Kirche sich dem Protest der documenta gefügt hätte. Wie das, wenn doch die documenta gar nichts davon wusste und keinen Einfluss darauf genommen hat? Weiß bei der documenta die Rechte nicht was die Linke tut? Klar ist, dass die documenta-Leiterin - anders als ihre beiden Vorgänger - allen Gesprächen mit der Kirche aus dem Weg gegangen ist. Und klar ist ebenso, dass die documenta auf Anfrage der Evangelischen Kirche deutlich gemacht hat, dass sie eine Außeninstallation von Schneider nicht dulden wird. Insofern geht es de facto um das Verhindern einer Kunstausstellung. Sinnvoll wäre ein befriedendes Gespräch gewesen. Aber das scheint nicht stattgefunden zu haben.