30 Oktober 2011

Ich protestiere!

Was muss man sich noch alles von dieser langsam dahinsterbenden Volkskirche bieten lassen? Kennt sie denn keine Grenzen der Scham, hat sie kein Stück theologisches Selbstwertgefühl?
     Aktuell eröffnet die EKD-Seite mit folgendem Teaser: "Am Reformationstag 2011 wird die mediale Vermittlung des Evangeliums neu erfunden: Mit Segelflieger-Flashmobs will die Evangelische Kirche in Deutschland Segen von oben auf die Menschen herabfliegen lassen. Etwas sanfter als Luther, der seine Thesen angeblich mit Hammer und Nägeln befestigte. Damals wie heute gilt für Protestanten: Auf das Wort kommt es an. Doch darüber nachdenken muss jeder selbst."
     Ja, genau so wird die Vermittlung des Evangeliums neu erfunden! Weil die Verkündigung des Wortes Gottes bisher nicht funktionierte und alle Gottesdienste und aller Religionsunterricht vergeblich waren, versuchen wir es jetzt mit Papierfliegern. Da schämt man sich doch in Grund und Boden. 
     Einen Satz wie: Das Medium der Reformation ist im Prinzip seit Luther gleich geblieben: Papier halte ich nun für unmittelbar häretisch. Nein, die szenische Erinnerung an das, was uns die Heilige Schrift verkündet, ist das Medium, in dem das christliche Wahrheitsbewusstsein gegeben und mitgeteilt wird. Alles andere sind bloß Papiertiger. Und die können mir gestohlen bleiben. 

Geballter Unsinn

Auf ZEITonline schreibt Maximilian Probst über die Problematik des Tyrannenmordes am Beispiel der Tötung von Gadhafi. Und er holt weit aus, um seine Argumentation zu stützen. Tyrannenmord ist problematisch und erzeugt selber wieder Gewalt - so seine These. Und in den Leserbriefen erntet er entschiedene Zustimmung.
     Seine Argumentation ist freilich mehr als abenteuerlich, sie stimmt hinten und vorne nicht. Zunächst einmal geht es beim Tyrannenmord nicht um den Mord an einem Menschen, der einmal Tyrann gewesen ist, sondern um den Mord an einem herrschenden Tyrannen. Das war im vorliegenden Beispiel nicht (mehr) der Fall. Gadhafi war gefangen, als er zu Tode kam. Es handelt sich also vermutlich um einen Racheakt an einem früheren Tyrannen, der von keiner Rechtsposition gedeckt ist. Was es aber nicht war: ein Tyrannenmord.
     Probst verweist nun auf - wie er so schön schreibt - archaische Beispiele, die die Problematik des Ganzen zeigen sollen. Und natürlich ist das Alte Testament voller solcher Geschichten. Klar, wenn schon falsch argumentieren, dann aber richtig.
     Judith etwa sei eine Rächerin, die einen Tyrannen ermordet habe. Nun, das Judithbuch ist eine deuterokanonische Erzählung eines unterdrückten Volkes, die mit historischen Realitäten wenig zu tun hat (und dies auch in der Erzählung deutlich macht). Judith tötet keinen Tyrannen, sondern einen feindlichen Feldherrn, der gerade mit einer Übermacht die kleine Stadt, in der sie lebt, bedroht. Tyrannenmord ist der Aufstand des Volkes gegen den eigenen Herrscher. Damit hat Judith aber auch gar nichts zu tun. In der Poetik des Judithbuches rettet der Einsatz einer einzelnen Frau einem ganzen Volk die Freiheit und verhindert zahlreiche Tote. Dies mit der Tötung Gadhafis in Zusammenhang zu bringen ist geballter Unsinn und fördert bloß Vorurteile.
     Gadhafis Tod in der Gefangenschaft ist ein Skandal, aber er wird untersucht und beurteilt werden.

28 Oktober 2011

Die Wiederkehr der Religion

J.M. Coetzee in der NZZ über die Wiederkehr der Religion:

"Nach wie vor überraschend und beängstigend ist freilich die Tatsache, dass die Religion heute in Formen zurückkehrt, die dem Intellekt derart feindlich sind. Es ist, als hätten Jahrhunderte intelligenten und oft tiefschürfenden theologischen Denkens (ich spreche hier von der jüdisch-christlichen Tradition, der einzigen, mit der ich wirklich vertraut bin) keinerlei Wirkung gezeitigt; als wäre nichts davon aus den Universitäten und theologischen Schulen ins Leben der gewöhnlichen Gläubigen gedrungen."

01 Oktober 2011

Heft 73 von tà katoptrizómena ist erschienen!

trägt den Titel
Von Höhlen und Inseln
und enthält folgende Beiträge:
EDITORIAL

VIEW

Die 54. Biennale in Venedig
Spaziergänge auf der Insel der Kunst
Andreas Mertin

Höhlen und Lichter
Tintoretto - Drei Gemälde
Andreas Mertin

Gattungshöhlen der Menschheit
Vom Sinn und Nutzen der Museen
Andreas Mertin
Von der Schönheit sakraler Architektur
Henner Herrmanns

Glimmers in the Dark
Cinema, Religion, and Paleolithic Cave Art
Anthony R. Mills

Christliche Hoffnung angesichts des Todes
- Teil I
- Teil II
Stefan Schütze

„Da ist das Meer so groß und weit ...“
Vier Seepredigten über Natur-und Glaubenserfahrung
Hans-Jürgen Benedict

RE-VIEW

Kirche und Film - eine Baustelle
Bericht aus dem Themenfeld Film vom Kirchen-Kultur-Kongress
Dietmar Adler

Illusionen von Wirklichkeit
Joel Sternfeld – Farbfotografie seit 1970
Barbara Wucherer-Staar

Partizipation
ALL-OVER Magazin für Kunst und Ästhetik
Karin Wendt

Kunst im Leben der Kirche
Eine kritische Auseinandersetzung
Andreas Mertin

Videoclips XXVIII
Besprechungen ausgewählter Musikclips
Andreas Mertin

POST

Ars gratia artis
Warum ich nicht am Kulturkongress der EKD teilgenommen habe
Andreas Mertin

Geschichten von Herrn Tur Tur
Konfessionsnarreteien
Andreas Mertin