26 September 2006

Theater

Die Absetzung von "Idomeneo" an der Deutschen Oper Berlin hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Um eine Gefährdung des Publikums und der Mitarbeiter auszuschließen, hatte sich Intendantin Kirsten Harms entschlossen, von der Wiederaufnahme des "Idomeneo" am 5., 8., 15. und 18. November abzusehen, hieß es in der Mitteilung des Opernhauses. Bei der 1781 uraufgeführten Oper geht es um den Widerstand der Menschen gegen Opfergaben an die Götter. In der Inszenierung von Hans Neuenfels, die bereits während der Premiere im Dezember 2003 auf Publikumsproteste gestoßen war, präsentiert König Idomeneo die abgeschlagenen Köpfe von Poseidon, Jesus, Buddha und Mohammed und stellt sie auf vier Stühle. "Mozarts Oper sei ein radikales Plädoyer für die Selbstbestimmung des Menschen", schrieb Regisseur Hans Neuenfels. Anlass der Absetzung war eine allgemeine Gefährdungsanalyse der Polizei.

Der Regiseeur war von der Absetzung nur in Kenntnis gesetzt worden. Er hält die Absetzung entschieden für einen falschen Schritt: "Das geht so nicht. Wo kommen wir denn da hin? Wenn Frau Harms den Eindruck hat, dass tatsächlich eine begründete Gefahr besteht, dann muss sie an die Öffentlichkeit gehen und das zum Thema machen: indem man das Stück nun erst recht zeigt und zur Diskussion stellt und nicht einfach klein beigibt. Doch sie hatte die Wiederaufnahme bereits abgesetzt ... Die Absetzung des "Idomeneo" aus purer Angst heraus gewinnt unter diesen Umständen eine weit reichende Bedeutung. Es geht hier nicht zuletzt um die Verteidigung unseres abendländischen Kulturverständnisses."

20 September 2006

Kunst und Religion

Im neu erschienenen "Wörterbuch der Religionen", das ich gerade für das Magazin für Theologie und Ästhetik lese und rezensiere, kann man unter dem Stichwort 'Kunst' lesen:

"Während Kunst nicht auf eine Beziehung zum Religiösen angewiesen ist, verhält sich keine Religion zur Kunst indifferent."

Keine Religion verhält sich zur Kunst indifferent? Das ist entweder trivial (weil es ja irgend eine Haltung geben muss) oder unwahr. Wahr wäre es nur, wenn man Kunst so bestimmt, dass der gesamte Gang der europäischen Aufklärung und Moderne im Sinne der Kritik der Darstellungsästhetik außer acht gelassen wird. Konsequent fährt der Text fort:

"Diese Asymmetrie gründet darin, dass Religion auf sinnliche Wahrnehmung angewiesen ist, um Abwesendes sichtbar zu machen."

Bemerkenswert daran ist die Identifikation von Kunst und sinnlicher Wahrnehmung. Nun ist es sicher so, dass Kunst ohne Sinnlichkeit und seit der Romantik auch ohne die Reflexion der sinnlichen Wahrnehmung nicht denkbar ist, andererseits impliziert sinnliche Wahrnehmung keinesfalls schon Kunst. Ich kann daher nicht sehen, dass Religion auf sinnliche Wahrnehmung im Sinne der Kunst angewiesen wäre. Ganz offensichtlich ist sie es nicht. Zumindest nach dem Selbstverständnis der bildkritischen religiösen Traditionen kann auf Kunst zum Sichtbarmachen des Abwesenden verzichtet werden - ganz im Gegenteil: Kunst wäre hier unangebracht. Und bei den den Bildern eher aufgeschlossenen Religionen, kann man nun gerade die fehlende Öffnung zur Kunst bemängeln.

Erst wenn man Kunst im Sinne der mittelalterlichen Tradition der sinnlichen Darstellung, ja der bloßen Illustration fasst, macht die Bestimmung Sinn. Warum man dann aber nicht konsequenter schreibt, dass jede Religion auf sinnliche Getaltung und Darstellung (nicht aber auf Kunst) angewiesen ist, ist mir nicht ersichtlich.

Präziser differenziert dagegen der Artikel zur "Religionsästhetik" zwischen einem anzuwendenden Aisthesis-Begriff und einem kunstphilosophischen Diskurs der Ästhetik als Lehre vom Kunstschönen. Aber auch hier ist das religionsästhetische Interesse an der Nivellierung des neuzeitlichen Differenzierungsgewinns spürbar, wenn abschließend davon gesprochen wird, man müsse die religiöse Massenproduktion "gleichberechtigt" zu Kunstwerken untersuchen.

Religion und Kultur

Im Kapitel über Immanenz und Transzendenz schreibt Rudolf Eucken 1895 in seinem Buch "Die Grundbegriffe der Gegenwart, historisch und kritisch entwickelt" zum Verhältnis von Religion und Kultur:

"Denn das Ganze des menschlichen Daseins erfassen und durchdringen kann sie [die Religion] nicht, ohne in seine Formen einzugehen und sich ihnen anzupassen; sie tritt damit auch in eine Beziehung zur jeweiligen Kulturlage und gerät zugleich in eine gewisse Abhängigkeit von ihr. Nun sind jene Formen ihrer Natur nach unzulänglich für das, was als Wendung des Daseins zum Absoluten alle Größen und Maße der Durchschnittswelt hinter sich läßt. Aber diese Unzulänglichkeit wird so lange nicht peinlich empfunden werden, als jene Anleihe von der Kultur der Höhe der geistigen Entwickelung entspricht; schwere Konflikte sind dagegen unvermeidlich, wenn die Religion in ihrer Gestaltung und Einkleidung eine Phase der Kulturarbeit festlegt, über welche die Bewegung thatsächlich hinausgegangen ist. Daß die Religion die Ansprüche, die sie für die begründenden Thatsachen erheben muß, auch auf jene Zeitform überträgt, ist wohl begreiflich, ja kaum vermeidlich; aber der Zwiespalt, in den sich dadurch weniger die Religion als die Erscheinungsform der Religion mit der Kultur verwickelt, wird dadurch nicht minder schädlich, schädlich vor allem für das Wirken der Religion selbst. Denn so gerät es in tausendfache Hemmungen und sieht sich Feinden gegenüber, denen es sich innerlich weit überlegen fühlt, und die es doch auf dem Gebiete des Zusammenstoßes nicht überwinden kann."

Man kann sich fragen, ob sich der Erkenntnisstand der Kirchen seit dieser Zeit in irgendeiner Weise geändert hat.

Verirrungen

Wie immer man zum Google-Projekt der Digitalisierung der Bücherwelten stehen mag, unbestreitbar ist, dass man dadurch manch Interessantes und auch Lustiges auf die Festplatte herunter laden kann. Nach der Eingabe der Worte 'Kunst' und 'Religion' stoße ich auf Wilhelm Rankes "Die Verirrungen der christlichen Kunst" und lade mir die 56-seitige Schrift im PDF-Format herunter. Es ist eine zum Teil erschreckende, zum Teil durchaus interessante, vor allem aber moralisierende Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen christlichen Kunst aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Insbesondere die nach Italien gegangenen Künstler stehen in der Kritik, statt dessen wird "deutsche" Kunst empfohlen. In nuce zeichnet sich hier schon die Programmatik nationaler Kunst ab.

Abgelehnt wird in der christlichen Kunst alles, was verstörend wirken könnte. Dazu gehört vor allem die Nacktheit (ein undeutsches Phänomen wie der Verfasser anmerkt), aber auch alles dogmatisch Anstößige wie Darstellungen Gottes oder der Trinität. Dann aber soll auch alles religiös Trennende aus der Kunst entfernt werden. Unerwünscht sind daher Darstellungen der Verbrennung von Jan Hus. Das Buch schließt mit folgenden Bemerkungen:

Und offensichtlich sind auch heute, 150 Jahre später, immer noch einige Menschen der Meinung, dass das stimmt.

10 September 2006

Kleiderprojekte

Im Rahmen ihres Projektraumes Satellit zeigt die Galerie Anita Beckers Arbeiten des Labels COLLENBERG/PONICANOVA in der Ausstellung „Kleiderprojekte“. „Ausgehend von grundlegenden Themen des Daseins und deren Manifestationen im Alltag, versuchen wir mit unseren Kleidungsstücken über diese Erscheinungs- und Umgangsformen zu reflektieren.“ (Collenberg/Ponicanova)

Der Projektraum SATELLIT ist am Römerberg in Frankfurt gelegen, zwischen Schirn und Kunstverein. Die Ausstellung läuft vom 09. September bis 11. November 2006.
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Yves Netzhammer

In der Ausstellung „Die ungenauen Körper“ mit YVES NETZHAMMER zeigt die Galerie Anita Beckers eine neue Videoinstallation sowie großformatige, zeichnerische Arbeiten, die – in neuer Art und Weise – auf Holzverbundplatten gemalt und freistehend im Raum angeordnet werden. Nachdem 2005 die Kunsthalle Bremen Yves Netzhammer eine groß angelegte Einzelausstellung widmete, waren seine Arbeiten in diesem Jahr in Einzelausstellungen im Museum Rietberg in Zürich und in der Kunstmuseum Solothurn zu sehen. 2007 wird Netzhammer mit seinen Arbeiten im Kontext der Documenta 12 in der Karlskirche in Kassel vertreten sein.

Die Ausstellung ist geöffnet vom 8. SEPTEMBER - 11. NOVEMBER 2006 [Mehr ...]

09 September 2006

Jonathan Meese

Vom 22. September bis zum 22. Oktober zeigt der Hospitalhof in Stuttgart eine Ausstellung mit Malerei und Installation von Jonathan Meese: Dr. Father Brown in Sankt Maria Pfarr. Die Ausstellung ist geöffnet Mo. – Fr. 14 – 17 Uhr; an Sonn- und Feiertagen 11-12.30 Uhr
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Caravaggio

"Nur wenige Künstler haben bereits zu Lebzeiten mit ihren ausdrucksstarken Werken und ihrem bewegten Leben so viel Aufsehen erregt wie der italienische Maler Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610). Noch heute lösen seine von meisterhafter Lichtdramatik und eindringlichem Realismus geprägten Gemälde eine große Faszination auf den Betrachter aus.

Erstmals in Deutschland wird nun dem Meister des italienischen Frühbarock eine eigene Ausstellung gewidmet, die sich ausschließlich auf die Bilderfindungen Caravaggios konzentriert. Die von Jürgen Harten kuratierte, exklusiv im museum kunst palast vom 09.09.2006 - 07.01.2007 gezeigte Schau vereint über 30 Gemälde aus den verschiedenen Schaffensphasen des Malers." [Mehr ...]

04 September 2006

Höchstlandesherrliche Verordnung

„Sinnliche Darstellungen gewisser Religionsbegebenheiten waren nur in einem solchen Zeitraum nützlich oder gar notwendig, in welchem es an geschickten Religionsdienern fehlte, die Unterrichtsanstalten noch sehr selten und ganz mangelhaft waren, und das Volk noch auf einer so niedrigen Stufe der Cultur und Aufklärung stand, dass man leichter durch Versinnlichung der Gegenstände, als durch mündlichen Unterricht und Belehrung auf den Verstand wirken, und dem Gedächtnis nachhelfen konnte.“

Höchstlandesherrliche Verordnung Frankens vom 4. November 1803

Kunstkörperlich - Körperkünstlich

Die Kunsthalle Dominikanerkirche in Osnabrück präsentiert vom 10. September bis 15. November die Ausstellung "Kunstkörperlich - Körperkünstlich. Neue Formulierungen des Menschenbildes in der figürlichen Plastik".

Das Interesse am modernen Menschenbild und das Experiment mit neuen Werkstoffen rücken die figurative Objektkunst seit den siebziger Jahren stärker in den Fokus der jüngeren internationalen Künstlergeneration. Die aktuelle figurative Plastik zeigt ein gewandeltes Menschenbild, das sich auf die Probleme der modernen Gesellschaft und ihrer städtischen Zivilisation bezieht. Die Verstädterung, das veränderte Verhältnis zur Natur und Religion, die Suche nach der eigenen sozialen und kulturellen Identität, die gewandelte Sexualität, das Verhältnis von Körper und Körperbild im Medienzeitalter beziehungsweise im digitalen Zeitalter sind zentrale Aspekte in der neuen Auseinandersetzung von Künstlern mit dem Bild des Menschen.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Dominikanerkirche kann diese neue Entwicklung in der plastischen Kunst nur beispielhaft zur Diskussion stellen. Sie widmet sich diesem Thema über eine Ausstellungsreihe. Im ersten Projekt werden unter anderem Arbeiten der Deutschen Stephan Balkenhol, Kirsten Geisler, Juliane Jüttner, Volker März, Sandra Munzel, Monke Herbert Rauer, Silke Rehberg, Susanne Ring, Christian Rösner, Lothar Seruset und Cora Volz präsentiert. Darüber hinaus sind Arbeiten der Italiener Aron Demetz und Alba D´Urbano, der Britin Marilène Oliver und des Kanadiers Max Streicher zu sehen.

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29 August 2006

Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist?

Die Geschichte der Nacktheit beginnt mit dem Sündenfall. Während die idealisierte Darstellung nackter Körper in der Antike und die Nacktkultur der Neuzeit von der Forschung intensiv betrachtet wurden, ist das Thema in der Mediaevistik bislang kaum behandelt.

Zum Thema Nacktheit im Mittelalter als Phänomen wie als Problem findet vom 3. bis zum 4. November 2006 im Zentrum für Mittelalterstudien ZEMAS der Universität Bamberg eine interdisziplinäre Nachwuchstagung statt.

27 August 2006

KulturRat

Der Deutsche Kulturrat fordert ein stärkeres kulturpolitisches Engagement der Kirchen. Die Kirchen sind "eine kulturpolitische Macht" und müssen sich mehr als bisher in aktuelle Debatten einmischen. Man werde die Kirchen dafür künftig stärker in die Verantwortung nehmen: "Das ist überfällig", sagte Geschäftsführer Olaf Zimmermann. Der Deutsche Kulturrat widmet sich in der neuen Ausgabe seiner Zeitung "Politik und Kultur" dem Themenschwerpunkt Kultur und Kirche. Zimmermann sagte, das Thema sei "bisher noch unterbelichtet" und "nicht wirklich ausdiskutiert".

Im nächsten Magazin für Theologie und Ästhetik wird das Papier ausführlicher vorgestellt und kommentiert.

21 August 2006

Madonna

»My idea is to take these iconographic symbols that are held away from everybody in glass cases and say ›Here is another way of looking at it. I can hang this around my neck. I can have this coming out of my crotch if i want.‹ The idea is somehow to bring it down to a level that people can relate to«.
(Madonna 1993)

»Meine Show ist kein konventionelles Rockkonzert, sondern eine dramatische Umsetzung meiner Musik. Und wie im Theater stellt sie Fragen, provoziert zum Nachdenken und nimmt den Zuschauer mit auf eine emotionale Reise, in der Gut und Böse, Hell und Dunkel, Freude und Trauer, Verdammnis und Erlösung dargestellt werden. Ich versuche nicht, jemanden zu einer Lebensweise zu bekehren, ich stelle sie nur dar. Und es bleibt dem Publikum überlassen, seine eigenen Entscheidungen und Urteile zu fällen.«
(Madonna 1990)

Si tacuisses

Margot Käßmann, Bischöfin in Hannover, hat im Interview mit der kirchlichen Nachrichtenagentur epd ihre Äußerungen zu Madonna zu korrigieren gesucht. Nein, zum Boykott habe sie nicht aufgerufen. Das ist verwunderlich, weil die Nachrichtenagentur dpa sie in wörtlicher Rede zitiert: "Ich rate dazu, Madonna zu ignorieren, denn das dürfte sie am meisten treffen." Ihre Intention, Madonna zu bestrafen, ist unverkennbar. Wer Christen in ihren religiösen Gefühlen verletze, gehöre ebenso verletzt - wenn auch nur finanziell. Das ist wenig plausibel und im Lichte von Mt 5,39 (Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar) wäre es auch unevangelisch. Aber wen kümmert das schon?

Heute nun benennt die Bischöfing ihr Dilemma so: "Ignorieren wir sie aber, kann leicht der Eindruck entstehen, dass es uns gleichgültig ist, wenn wichtige christliche Symbole für Spaß und Show-Zwecke vermarktet werden." Da fragt man sich natürlich, was sie überhaupt vom Konzert wahrgenommen hat. Die Kreuzigungsszene als Ausdruck von Spaß und Show? Erinnern wir uns, dass Madonna ihre Inszenierung als symbolische Geste mit der Aids-Katastrophe in Afrika verbindet. Und das ist nicht erlaubt? Wer ist legitimiert, so etwas zu sagen?


Das weitere Gespräch mit epd verschlimmert das Ganze erheblich. Dort sagt sie: "So eine Inszenierung verletze neben Christinnen und Christen auch all jene Menschen, die persönliche Erfahrungen mit Leiden hätten." Implizit unterstellt Frau Käßmann Madonna also, keine eigenen Erfahrungen mit Leiden zu haben. Das ist natürlich blanker Unsinn und theologisch zudem hochbrisant. Seit wann dürfen Theologen dekretieren, dass jemand so wenig Erfahrungen mit Leid hat, dass er sich dazu nicht äußern darf? Sind es nicht gerade Theologen, die mit "geborgtem Leid" predigen?

Darüber hinaus: Spätestens seit Albrecht Dürer ist die künstlerische Christusidentifikation etabliert. Dafür stehen neben Dürer auch James Ensor oder Josef Beuys (letzterer mit der Fußwaschung im Rahmen der Aktion Celtic). Und all das ist illegitim? Und wer hat das Recht, das zu entscheiden?

Da kann man nur zum Schluss kommen: Wenn Du geschwiegen hättest, wärest Du Theologin geblieben!

Altes Eisen

Im vorstehend erwähnten Interview von Margot Käßmann über Madonna kommt auch noch folgende Äußerung vor: "Vielleicht kann ein alternder Star nur noch zusätzliche Aufmerksamkeit erregen, wenn er religiöse Gefühle verletzt". Das ist interessant, denn Madonna ist jünger als Margot Käßmann. Nach der Definition der Bischöfin gehören Menschen mit 48 Jahren also schon zum alten Eisen und versuchen daher krampfhaft, Aufmerksamkeit zu erregen. Wieviel Selbsterkenntnis oder sagen wir Verdrängung hinter diesen Anwürfen steckt, kann man nur vermuten.

Schlimmer ist allerdings die Tatsache, dass Margot Käßmann sich hier zynisch die Argumentation der neoliberalen Wirtschaft zu Eigen macht, welche alle Menschen über 45 Jahren als für den Erwerbsprozess zu alt ansieht. Wird das jetzt Sprache der Kirche, alle über 45-Jährigen als alternde Menschen zu bezeichnen? Sozialethisch ist das jedenfalls ein Skandal.

Nachtrag vom 22.08.: Hier noch ein paar treffende sueddeutsche Notizen zur Venus aus der Diskokugel ...

20 August 2006

Antikatholische Äußerung?

"Sich selbst an die Stelle Jesu zu setzen, auch nur symbolisch, ist eine Selbstüberschätzung ungeheuren Ausmaßes", sagte die Bischöfin Margot Käßmann heute gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Wen sie damit wohl gemeint haben kann: Petrus, den Papst, Franz von Assisi oder vielleicht gleich alle Christen? Ach nein, es war nur Madonna, deren Werk Frau Käßmann nicht kennt. Vermutlich wollte sie auch nur mal wieder in den Medien präsent sein.

Vielleicht aber sollte Frau Käßmann doch noch einmal Matthäus 16,24 nachschlagen, worauf Madonna ja im Kontext ihres Aids-Engagements hier anspielt. Der Befreiungstheologe Mark D. Hulsether erörterte vor einigen Jahren die Frage, inwieweit Madonnas Clips unter befreiungstheologischen Perspektiven gelesen werden können. Ein ideales Lied müsste demnach eine Geschichte erzählen, die auf der Opferseite Partei nimmt und sich distanziert von allen rassistischen Verzerrungen des Christentums. Das Augenmerk müßte auf den Leiden und Ungerechtigkeiten liegen und Wege aufweisen, diese zu verändern. Es sollte Jesu Tod nicht auf die individuelle Beziehung von Christ und Christus reduzieren, sondern seine soziale Komponente und seinen solidarischen Aspekt betonen. Die Kirche müsste darin als Ort des Eintretens für soziale Gerechtigkeit erscheinen. Im Blick auf den Rassismus müsste es die afro-amerikanische Kultur fördern, polizeiliche Übergriffe ächten und verhindern, dass Farbige zu Sündenböcken gemacht werden. Im Blick auf den Feminismus sollte es sexuelle Gewalt kritisieren und die erotische Komponente des Glaubens betonen. Und Hulsether stellt fest: Madonnas 'Like a prayer' beinhaltet jedes Element dieser Wunschliste, gefördert von einem bevorzugten Rollenmodell unserer Jugend. Hulsether hält den Clip für eines der wirkungsmächtigsten Beiträge zur Befreiungstheologie, die er je in den Massenmedien gesehen habe.

Aber Frau Käßmann ist eben auch keine Vertreterin der Befreiungstheologie und schon gar keine feminstische Theologin. Aber vielleicht ist Madonna so nett und lässt Frau Käßmann künftig in Ruhe.

Wie man Madonna anders, aber durchaus auch kritisch wahrnehmen kann, beschreibt Hannelore Schlaffer in der ZEIT: Danach "wird Madonna ans Kreuz geschlagen, an eine mit Quadraten überzogene Konstruktion, die von Donald Judd sein könnte und durch geometrische Sterilität jeglichen blasphemischen Gedanken blockiert. Da hängt sie, klein und mit einem Kranz im Haar – oder ist es doch eine Dornenkrone? –, eher wie eine gerettete Ophelia denn wie eine Parodie auf den Gekreuzigten und singt Live to Tell."

Kirchenbau II

"Ich sehe jetzt ab von der unheimlich übertriebenen Höhe der Bethäuser, von ihren maßlos in die Länge gezogenen Langhäusern oder ausschweifend unnützen Breiten, von ihrem aufwendigen Unterhalt und den phantastischen Gemälden: Während diese Dinge die Blicke der Beter auf sich ziehen, bis sie sich die Hälse verdrehen und das Aufkommen der Andacht verhindern …, aber es ist nun einmal so und mag zur Ehre Gottes geschehen."

Bernhard von Clairvaux (1090-1153)

19 August 2006

Kirchenbau I

"Das geziemendste und größte Stift und Gotteshaus, darin Gott soll angebetet werden, ist die Welt. Die aber Kirchen bauen und Klöster und Kapellen und Bethhäuser, die wollen die Göttliche Majestät in einen Winkel zwingen, als ob sie nicht an allen Stätten könnte gleich gnädig sein".

Jan Hus (1370-1415)

18 August 2006

Happy Believers

"Ausgehend von der Beobachtung eines wieder erstarkenden Interesses an Religiösität und Glaubensphänomenen fragt die 7. Werkleitz Biennale unter dem Titel „Happy Believers“ nach der Rolle des Glaubens in der heutigen Gesellschaft. „Woran glauben wir heute?“ und „Warum glauben wir?“ sind zentrale Fragestellungen der künstlerischen Beiträge. Dabei geht es keineswegs nur um Glauben im religiösen Sinn. Kirchentagsbesucher, Zen-Buddhisten, Fußballfans, Markenfetischisten und Hobbyastrologen – sie alle haben ihren eigenen ‚Glauben’.

Vor dem Hintergrund von Individualisierung und Globalisierung scheint sich eine neue Sehnsucht nach Sinn und Ganzheitlichkeit sowie immer häufiger auch nach einem kollektiven Gemeinschaftsgefühl zu formen. In ‚Patchwork-Religionen’ setzen sich Menschen ihren persönlichen Glauben aus den verschiedensten Quellen zusammen: Happy Believers. Dem gegenüber steht eine Welle medialer Inszenierungen, in der Glaube für politische und ökonomische Zwecke eingespannt wird. Die Arbeiten der 7. Werkleitz Biennale untersuchen dieses Spannungsfeld aus ganz unterschiedlichen künstlerischen Perspektiven: Arbeiten, die die Faszination und Glücksmomente des Glaubens aufzeigen sind ebenso vertreten wie Ansätze, die sich kritisch mit der Instrumentalisierung von Religion beschäftigen. Eigens für die Biennale in Auftrag gegebene Arbeiten befassen sich mit den konkreten Glaubensformen vor Ort, in dem Bundesland mit der höchsten Konfessionslosigkeit.

Auch in diesem Jahr wird ein Großteil der Künstler/innen für die Dauer des Festivals anwesend sein. Die Biennale versteht sich damit erneut als Raum für einen intensiven Austausch zwischen Künstler/innen, Kulturproduzent/innen und Publikum.

Die 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“ wird kuratiert von Anke Hoffmann, Solvej Ovesen, Angelika Richter und Jan Schuijren."

Das Programm und eine umfassende Künstler/innenliste der 7. Werkleitz Biennale finden Sie im Netz unter www.werkleitz.de/happy_believers.

09 August 2006

documenta-Blick

Einen Rückblick auf 50 Jahre documenta und einen Blick auf die kommende documenta bietet hr-online. Vorgestellt werden die bisherigen Ausstellungen, ihre Macher und einige Künstler im O-Ton mit ihren Erfahrungen der jeweiligen documenta. Im O-Ton auch die Visionen des nächsten documenta-Leiters Buergel.

Eine interessante Seite zur Vorbereitung auf den Besuch in Kassel im nächsten Jahr.