20 September 2006

Kunst und Religion

Im neu erschienenen "Wörterbuch der Religionen", das ich gerade für das Magazin für Theologie und Ästhetik lese und rezensiere, kann man unter dem Stichwort 'Kunst' lesen:

"Während Kunst nicht auf eine Beziehung zum Religiösen angewiesen ist, verhält sich keine Religion zur Kunst indifferent."

Keine Religion verhält sich zur Kunst indifferent? Das ist entweder trivial (weil es ja irgend eine Haltung geben muss) oder unwahr. Wahr wäre es nur, wenn man Kunst so bestimmt, dass der gesamte Gang der europäischen Aufklärung und Moderne im Sinne der Kritik der Darstellungsästhetik außer acht gelassen wird. Konsequent fährt der Text fort:

"Diese Asymmetrie gründet darin, dass Religion auf sinnliche Wahrnehmung angewiesen ist, um Abwesendes sichtbar zu machen."

Bemerkenswert daran ist die Identifikation von Kunst und sinnlicher Wahrnehmung. Nun ist es sicher so, dass Kunst ohne Sinnlichkeit und seit der Romantik auch ohne die Reflexion der sinnlichen Wahrnehmung nicht denkbar ist, andererseits impliziert sinnliche Wahrnehmung keinesfalls schon Kunst. Ich kann daher nicht sehen, dass Religion auf sinnliche Wahrnehmung im Sinne der Kunst angewiesen wäre. Ganz offensichtlich ist sie es nicht. Zumindest nach dem Selbstverständnis der bildkritischen religiösen Traditionen kann auf Kunst zum Sichtbarmachen des Abwesenden verzichtet werden - ganz im Gegenteil: Kunst wäre hier unangebracht. Und bei den den Bildern eher aufgeschlossenen Religionen, kann man nun gerade die fehlende Öffnung zur Kunst bemängeln.

Erst wenn man Kunst im Sinne der mittelalterlichen Tradition der sinnlichen Darstellung, ja der bloßen Illustration fasst, macht die Bestimmung Sinn. Warum man dann aber nicht konsequenter schreibt, dass jede Religion auf sinnliche Getaltung und Darstellung (nicht aber auf Kunst) angewiesen ist, ist mir nicht ersichtlich.

Präziser differenziert dagegen der Artikel zur "Religionsästhetik" zwischen einem anzuwendenden Aisthesis-Begriff und einem kunstphilosophischen Diskurs der Ästhetik als Lehre vom Kunstschönen. Aber auch hier ist das religionsästhetische Interesse an der Nivellierung des neuzeitlichen Differenzierungsgewinns spürbar, wenn abschließend davon gesprochen wird, man müsse die religiöse Massenproduktion "gleichberechtigt" zu Kunstwerken untersuchen.