15 Juli 2013

Religiöser Katastrophentourismus

Für manche Zeitgenossen findet die theologische Apokalypse beinahe tagtäglich statt. Irgendwo sagt einer was ganz Normales wie „Auch Frauen können ordiniert werden“ (1927 / 1958) oder „Jetzt wählen wir eine Frau zur Bischöfin“ (1992) oder „Jetzt lassen wir die Hochzeit gleichgeschlechtlicher Paare zu“ (2005) und schon geht wieder die Welt unter ... und wieder .... und wieder ... und wieder. Muss irgendwie Spaß machen dieser theologische und innerkirchliche Katastrophentourismus. Seitdem ich mich mit Fragen der Theologie beschäftige, gehört der Tübinger Missionswissenschaftler Peter Beyerhaus zu dieser Gattung der theologischen Apokalypseverkünder. Wann immer jemand etwas sagt, was jenseits des lutherischen Minimalkonsenses liegt und nicht den Geruch des Wertekonservativen hat, kann man sicher sein, dass Beyerhaus mit apokalyptischen Warnungen auftritt. Das muss bei ihm wie ein pawlowscher Reflex sein, darin seinen Gesinnungsgenossen von der evangelikalen Bekenntnisfront nicht unähnlich. Frauenordination? Igittigitt! Wahl einer Bischöfin? Eine "der schwersten geistlichen Katastrophen"! Zulassung gleichgeschlechtlicher Paare zur Hochzeit? „Eine aktuelle sittliche Gefahr“ und ein „moralischer Flurschaden“, der einen sofortigen Rücktritt des Ratsvorsitzenden der EKD nach sich ziehen müsse. Was für ein autoritätsfixierter Müll.

Und die dazu passende apokalyptische Drohung: Sonst werde man katholisch! Na, hoffentlich, denkt man sich da und weiß doch, er und seine Gesinnungsgenossen tun es nicht, sonst entfiele die Grundlage für den heiß geliebten theologischen Katastrophentourismus. Dass die Kirche Paul Tillichs und Richard Niebuhrs, die United Church of Christ, bereits 2005 die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare zugelassen hat, ohne dass bisher erkennbar die Welt im Stil von Sodom und Gomorra untergegangen ist, verwundert angesichts derartiger katastrophischer Rhetorik. Nun kann man durch den Blick auf die scheinbare Katastrophe auch erstarren, so sehr, dass man zur Salzsäule wird. Statt aufzubrechen und die Welt zu gestalten, erfreut man sich an den eigenen Weltuntergangsphantasien. Wieder ... und wieder ... und wieder.

Noch fataler erscheint mir aber die geradezu totalitäre Sprache: „Sind Sie unter dem Eindruck des durch das EKD-Papier und Sie selber entfesselten Sturms bereit, eigene Fehlorientierung einzugestehen und sich angesichts der Heiligkeit Gottes – möglichst gemeinsam mit dem gesamten Rat der EKD – von ihm zu distanzieren?“ So spricht der Großinquisitor im Auftrag des Heiligen Geistes. Ratsvorsitzender Schneider soll eigene Fehlorientierung eingestehen? Diese Tonlage finde ich so unverschämt und beleidigend, dass ich mich frage, ob Beyerhaus noch alle Tassen im Schrank hat. Selbst die katholische Kirche hat die Inquisition längst abgeschafft. Auf die beyerhaussche Wiedervorlage kann ich gut und gerne verzichten.